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„Was zählt, ist das Beispiel“

30. Mai 2013

Wer als Journalist mit einem Orchester auf Reisen war, weiß um die mitunter kapriziösen Eigenarten von Musikern. Anders ist da die Erfahrung, mit den Dresdner Sinfonikern unterwegs zu sein. Ein internationaler Zusammenschluss von Musikern, die verschiedenen Orchestern oder Kammermusikgruppen angehören, auch freiberuflich arbeiten sowie unterrichten. Die quasi handverlesen zusammengeführt worden sind und sich in unterschiedlichen, gemeinsamen Projekten auf eigenwillige Weise sowie mit hohem Qualitätsanspruch speziell der zeitgenössischen Musik widmen. Vorwiegend als ein Brückenschlag zwischen Kulturen und Künstlern unterschiedlicher Länder, immer auf an Hindernissen reichen und schwer begehbaren Wegen. Intendant Markus Rindt – er hatte 1997 gemeinsam mit Sven Helbig die Dresdner Sinfoniker ins Leben gerufen – ist schon selbst das beste Beispiel dafür, dass hier eine beseelte, engagiert und professionell arbeitende Schar Gleichgesinnter immer wieder zu neuen Unternehmungen aufbricht.

Auf den ersten Blick mag es scheinen, dass die Konzertreise der Dresdner Sinfoniker mit Auftritten in Ramallah, Ost-Jerusalem und Jenin möglicherweise das bislang abenteuerlichste Projekt sein könnte, das Markus Rindt angeschoben und in mehrjähriger Vorbereitungszeit gemeinsam mit dem Kulturmanager und Filmemacher Benjamin Deiß vorbereitet hat. Bei der Pressekonferenz in Ost-Jerusalem bezogen sich die Fragen deshalb auch ganz gezielt auf eventuelle politische Absichten, warum das Werk des in den USA lebenden iranischen Komponisten und Musikers Kayhan Kalhor, das nun in West-Jordanland und in Ost-Jerusalem aufgeführt wird, speziell „Symphony for Palestine“ benannt ist und wie das Werk entstanden sei. Gefragt wurde ebenso, sowohl im offiziellen wie auch inoffiziellen Teil der Pressekonferenz, ob man sich vorstellen könne, diese Komposition in Tel Aviv oder anderen israelischen Städten aufzuführen. Und Markus Rindt ließ keinen Zweifel daran, dass das durchaus möglich sei, es habe sich aber trotz Anfragen noch nichts Entsprechendes ergeben.

Was die „Gefährdungen“ dieser Konzertreise betrifft, so wirken sie, auch mit dem an Konfrontationen medial geschulten Blick aus Europa, irgendwie real und unreal zugleich. Die Sinfoniker proben seit zwei Tagen unter Leitung des wunderbaren italienischen Dirigenten Andrea Molino gemeinsam mit palästinensischen und aserbaidschanischen Musikern im Al Hakawati Palestinian National Theater in Ost-Jerusalem. Ein eher schlichtes, dicht umbautes Theatergebäude, das im größeren Saal etwa 300 Besuchern Platz gibt und wo Orchesterauftritte offenbar die Ausnahme sind. Jerusalem wirkt in seiner Panorama-Ansicht wie ein uraltes Gemälde, friedlich ausgebreitet auf steinigem Untergrund, und im Innern, in der von Touristen überfluteten Altstadt, brodelt es wie in einem Kessel. Nur einige schwerbewaffnete israelische Patrouillen lassen auch noch im dichtesten Gedränge erahnen, welche Konflikte hier schwelen und dass es durchaus auch zu Konfrontationen kommen kann. Es ist schwer vorauszusagen, wer und wie viele Gäste nun das Konzert der Dresdner Sinfoniker am 1. Juni im Palästinensischen Nationaltheater besuchen werden. Doch der sympathische Theaterchef Mohammad Halayka äußert sich voller Optimismus, dass die Aufführung sicher gut besucht sein wird. Vielleicht können Neugierige auch von dem eher zurückhaltenden Plakat in der von Touristen übervollen Stadt dazu verlockt werden. Zumal das aus Kurdistan stammende Bildmotiv, wo sich ein junger Mann entspannt in der am wehrhaften Sicherheitszaun befestigten Hängematte sonnt, sie möglicherweise darauf aufmerksam gemacht hat. Deutlich kommt dabei die Botschaft herüber, dass das Projekt der Dresdner Sinfoniker nicht darauf zielt, aufgerissene Gräben weiter zu vertiefen oder mit jeweiligen Schuldzuweisungen aufzuwarten. Vielmehr wird ein Weg gesucht, Menschen ungeachtet ihrer Religionen und Kulturen zusammenzuführen. Dass das ein Traum ist, wissen die Musiker ebenso wie ihre Gastgeber, und es setzt Toleranz voraus wie auch Akzeptanz. Doch Musik vermag ja bekanntlich manches zu bewirken. Und: „Was zählt, ist das Beispiel“. So hatte es einst Ruth Berghaus auf den Punkt gebracht.

Übrigens bietet diese Reise für alle reichlich Gelegenheiten, um darüber nachzudenken, wie es speziell in dieser Region quasi seit Menschengedenken zu Konflikten, Demütigungen, Vertreibungen, gekommen ist. Dafür finden sich kundige Gesprächspartner, auch unter den anderen Hotelgästen. Wie zum Beispiel zwei vielfach nach Israel reisende Lehrer aus Deutschland, die sich über Jahre auch für den Schüleraustausch eingesetzt haben. Sie können mit Fakten, Fakten, Fakten aufwarten. Und dümmer wird man auch nicht davon. Dann eher schon nachdenklich und wissender. Solche Defizite spürt man auch, wenn sich nach den anstrengenden Orchesterproben am späten Abend die Unermüdlichen in einem abgelegenen „Internet“-Winkel des Hotels zusammenfinden, um „auf dem Laufenden“ zu bleiben und mit ihren Familien zu kommunizieren. Offenbar haben die anderen zu Hause doch einige Ängste, und ein Musiker erzählte, er habe alle Fragen zu Gefahren ganz ausführlich beantwortet. Und das klang reichlich witzig. Am heutigen Donnerstag geht es nun zum Konzert nach Ramallah, und darauf sind alle sehr gespannt, auch, was die Reaktionen des Publikums betrifft. Der Auftrittsort bietet bis zu 800 Besucher Platz…