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Dresdner Sinfoniker mit Konzertprojekt gegen Trumps Mauer-Pläne

6. April 2017

Gegen die „Einmauerung der Welt“: Am 3. Juni wollen die Dresdner Sinfoniker mit einem Aufsehen erregenden Konzert in Mexiko gegen den geplanten Grenzwall von US-Präsident Donald Trump protestieren. Vom Atlantik bis zum Pazifik sollen sich internationale Musikerinnen und Musiker beidseits der Mauer Gehör verschaffen.

San Diego/Tijuana/Dresden. Es ist weit mehr als eine Marotte: Die Dresdner Sinfoniker sehen ihre musikalische Arbeit als Engagement gegen bestehendes Unrecht. Ob in Palästina oder Jordanien, ob beim „Aghet“-Projekt gegen den türkischen Völkermord an den Armeniern oder ob jüngst mit „I EXIST – nach Rajasthan“ (DNN berichteten) – die Musiker um Marc Sinan und Intendant Markus Rindt wollen ein Bewusstsein schaffen für die Gewalt, die Menschen anderen Menschen antun. Ihr ausdrückliches Ziel solcher Aktionen ist allerdings nicht Anprangern, sondern Versöhnen.

Angesichts einer Einladung nach Mexiko lag denn auch nichts näher, als „die geplante ‚schöne‘ Mauer von Donald Trump“ zu thematisieren, meint Markus Rindt gegenüber DNN. „Wir als Ostdeutsche haben natürlich eine spezielle Sicht auf solche Dinge“, erklärt er das damit verbundene Anliegen, „aber es geht uns nicht allein um diesen neun Meter hohen und angeblich unüberwindbaren Wall, der die USA vom Atlantik bis zum Pazifik dichtmachen soll, sondern um die Einmauerung der Welt.“ Mit Erschrecken sei dieser Trend – ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs zwischen Ost und West – auch in Europa zu registrieren.

In geteilten Städten wie zum Beispiel in Tijuana und San Diego, wo die Mauer schon jetzt bis ins Meer hineinreicht, sollen am 3. Juni mexikanische und US-amerikanische Musiker gemeinsam mit den Sinfonikern auftreten und auf beiden Seiten gleichzeitig Konzerte geben. Markus Rindt hebt hervor, dass dort also nicht nur die Gäste aus Dresden musizieren werden. „Unser Ziel ist es, ganz viele Menschen entlang dieser 3200 Kilometer langen Grenze zu inspirieren, sich diesem Projekt anzuschließen und eigene Aktionen zu machen. Jeder soll seine Stimme erheben gegen diesen schlimmen Plan.“ Es seien bereits Kontakte zu diversen Bands und Chören geknüpft worden. Die Aktivisten erhoffen sich für diesen Tag aber auch von der Bevölkerung im Grenzgebiet ganz eigene, persönliche Formen des Protestes, ob mit Gedichten, Liedern oder anderen Performances – wichtig sei, dass an diesem Datum des 3. Juni ein unüberhörbares Zeichen gesetzt werde.

Dafür startet heute eine weltweite Kickstarter-Kampagne, über die diese Aktion finanziert werden soll. Die Sinfoniker erhoffen sich davon – sowie von einer breit angelegten Pressearbeit – derart viel Aufmerksamkeit, dass nicht nur das Geld zusammenkommt, von gut 15 000 Euro ist die Rede, sondern dass damit so viele Menschen wie nur möglich erreicht werden. „Warum sollen nicht auch Interessierte aus Los Angeles und Mexico City zu diesen Aktionen in die Grenzregion reisen?“, fragt Markus Rindt und wagt einen vorsichtigen Blick nach vorn: „ Wer weiß, vielleicht wird sogar eine Bewegung daraus. Wir bereiten das alles auf unserer Homepage sowie per Twitter und Facebook vor.“ Spender erhalten Gegengaben mit assoziativen Namen wie „Brecheisen“, „Abrissbirne“ oder „Bulldozer“.

Wie akut dieses Konzertprojekt tatsächlich ist, erläutert der Intendant mit folgendem Beispiel: „Wir wollen mit zwei Kinderchören zu arbeiten, die auf beiden Seiten der Grenze stehen. Es gibt dort einen sogenannten Freundschaftspark – bei diesem Namen stellt man sich vor, dass Menschen sich wirklich begegnen.“ Früher sei dies noch möglich gewesen, da habe es lediglich einen kleinen Stacheldrahtzaun gegeben. Aber dann sei die Grenzbefestigung zwischen Tijuana und San Diego immer stärker ausgebaut worden. „Heute steht dort ein riesiges Maschendrahtgitter“, empört sich der Dresdner Künstler, „da kann nicht mal mehr die Hände durchstecken, nur noch die Finger – die Menschen der getrennten Familien berühren sich lediglich an den Fingerkuppen!“ Jeden Samstag sei „Besuchszeit“ in dieser nur 15 Meter breiten Zone zwischen den Staaten, da spielen sich stets bewegende, oft auch dramatische Szenen ab.

Zweimal im Jahr demonstriere die USA ihre „Großzügigkeit“, erzählt Markus Rindt, und öffne das Tor für genau 180 Sekunden. Eine unvorstellbare Demütigung: „Dafür muss man sich bewerben, insgesamt werden sechs Personen ausgewählt, die sich genau diese 180 Sekunden lang in die Arme nehmen können.“

Der Name Friendship Park sei nicht ironisch, sondern tatsächlich so gemeint. Mit wirklichen Begegnungen habe das aber nichts zu tun, so Rindt, denn dort herrsche fast eine größere Isolation als im Gefängnis. „Und trotzdem soll es nur ein sein Vorgeschmack auf das, was da noch kommen soll!“

Wenn an solch einem Ort ein Orchester aus Deutschland auftritt, dessen Mitglieder überwiegend mit dem Hintergrund der deutsch-deutschen Teilung aufgewachsen sind, ist das ein Novum. Dass sie nun mexikanische und US-Musiker mit im Boot haben, dürfte ein Fanal werden. Denn: „Auch die Barrieren, die Ungarn errichtet, die Grenze zwischen der Türkei und Syrien, die Sperren in Marokko – all das verurteilen wir absolut!“ Die Dresdner Sinfoniker, deren musikalische Projekte seit Jahren mit gesellschaftspolitischen Ambitionen verbunden sind, wollen darauf aufmerksam machen, wie sehr die Menschen leiden, insbesondere jene, die vor Krieg und Elend fliehen mussten. „Sie sind aber schon nicht mehr so präsent in den Medien, dass es die breite Masse erreicht“, konstatiert Markus Rindt. „Allwöchentlich ertrinken zahllose Menschen im Mittelmeer – die Dunkelziffer ist unbekannt –, aber Europa schottet sich immer mehr ab, hat Angst vor dem Anderen.“ Angesichts dieser Tatsachen sei es an der Zeit, an den Satz von Ronald Reagan zu erinnern: „Mister Gorbatschow, tear down this wall!“ Die Dresdner Sinfoniker haben ihn zum Titel für ihr grenzüberschreitendes Vorhaben gemacht.

www.tear-down-this-wall.org

Von Michael Ernst