Dresdner Kulturmagazin
Der Himmel grünt so rot
14. September 2019
Cie. Freaks & Fremde verraten im Soci, »Wie Dada nach Dresden kam«
Tobias Herzz Hallbauer hats nicht leicht. Er sitzt mitten im Publikum, eingesperrt in einen doch recht eng wirkenden Plexiglaskasten. Aus dem heraus skandiert er mal mehr mal weniger im Stakkato historische Textzeugnisse über das kurze Leben des Dada in Dresden vor knapp 100 Jahren. In ähnlich hämmernden Rhythmen darf Andreas Boyde mit Genuss das Klavier bearbeiten.
A-Sinn, Non-Sense, Widersinn. Man muss für dergleichen offen sein, um zu erkennen, dass im Dada vermeintlicher Unsinn zwar ein Heidenspaß ist, trotzdem aber eine reflektierte Kopfsache. Und weil Dada nicht in seine Zeit gehörte, sich ja direkt darüber definierte, in keine Zeit zu gehören, ist dieser Abend, den die Cie. Freaks & Fremde gemeinsam mit den Dresdner Sinfonikern gebastelt hat, so ziemlich unerhört. Also ganz so, wie er sein sollte. Heiki Ikkola und Shahab Anousha geben die Bühnenclowns in derart linkisch-sympathischer Manier, dass ihre Filzhüte eine direkte Reverenz an Becketts Didi und Gogo aus »Warten auf Godot« sind. Shahab Anousha darf in einer eigenen Szene sogar mittels eines Mikrofons und akustischer Rückkopplung seinen eigenen Dada-Text kreieren. Das ist schlichtweg Dada für das 21. Jahrhundert. Besser geht’s wahrscheinlich nicht. Und Tom Quaas darf nachdrücklich krächzend und brüllend Deutschland »über alles in der Welt« lobpreisen, dass es ihm fast den Kehlkopf raushaut. Die Kunst ist in Gefahr, die Kunst ist tot.
Das besondere an Dada war ein hemmungsloses Ineinandergreifen von Schrift, Bild, Stimme, Musik und Performance. Das hat zur Folge, dass dieser Abend in seinem ungestümen Charakter keiner Dramaturgie folgt. Dada ist eben ungemütlich und anstrengend. Wie ungemütlich genau diese halb künstlerisch, halb politisch gestaltete Geste wirklich ist, bekommt das Publikum spätestens dann zu spüren, wenn es von Heiki Ikkola mit Wasser vollgespritzt wird. Natürlich läuft das nicht auf Kosten des Zuschauers ab. Und sicherheitshalber wird das auch noch erläutert: Ein herrlicher Blödsinn sei das, eine ungeheure Ironie, heißt es. Die Kenntnis des Unsinns gilt als der wirklicher Sinn der Welt. Das klingt fast ein bisschen wie eine Entschuldigung für einen schwerelosen Abend der künstlerischen Freiheit, der vor 100 Jahren nicht nur eine andere Wirkung gehabt hätte, sondern zweifelsfrei noch viel derber ausgefallen wäre. Aber die Zeiten ändern sich halt.
Rico Stehfest