Hamburger Abendblatt
Musikexpedition nach Anatolien
01. August 2011
Das Schleswig-Holstein Musik Festival zeigte auf Kampnagel „Hasretim“ – eine wunderbare Reise zu Menschen und ihren Instrumenten
Wie Reisefieber klingt, zeigte die musikalisch-filmische Collage „Hasretim – Eine anatolische Reise“, die am Sonnabend im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals auf Kampnagel aufgeführt wurde. Mit einem Bild des majestätischen Bosporus begann diese Musikexpedition entlang der anatolischen Schwarzmeerküste. Dazu zupften der Gitarrist und Komponist Mark Sinan und ein Bassist einige melancholische Klänge. Erst nach und nach strömten mehr Musiker aufs Podium und woben ihre Stimmen ein in eine immer erregendere Klangfläche, die man wahlweise mit Reisefieber oder den Bildern der pulsierenden Megapolis Istanbul assoziieren konnte.
Sinan und sein Koautor Markus Rindt sind auf ihrem Weg durch Nordostanatolien wunderbaren Menschen und Instrumenten begegnet: einem Schafhirten mit verwittertem Gesicht und rauen Arbeiterhänden, der die Geheimnisse der Zirkularatmung perfekt beherrschte und auf einer archaischen Flöte einen endlosen Strom dionysischer Töne produzierte. Oder Dudelsäcken, die so rau und erdig klangen, dass man meinte, die Musik tasten und riechen zu können. Zusammen mit dem Arrangeur Andrea Molino hat Sinan zu diesen Aufnahmen anatolischer Volksmusiker einen Soundtrack hinzukomponiert, der die Ursprünglichkeit und Vitalität von deren Musik perfekt auf die Möglichkeiten eines modernen, um einige Volksmusikinstrumente erweiterten Orchesters überträgt.
Die Dresdner Sinfoniker unter der Leitung von Jonathan Stockhammer erwiesen sich bei dessen Umsetzung als extrem wandlungsfähiges und virtuoses Solistenensemble. So gut war dieser Soundtrack, dass man den Komponisten wohl verzeihen muss, dass sie sich ein wenig zu sehr in den Vordergrund drängten. Gerne hätte man den Menschen, die in kleine Schnipsel geschnitten im MTV-Tempo über fünf Leinwände flimmerten, intensiver zugehört. Wem Bilder und Soundtrack im ersten Teil zu dominant gewesen sein sollten, der wurde aber in den letzten 20 Minuten versöhnt von dem elegischen Duo zwei türkischer Flötisten und einem kollektiven Abschiedsgesang, der zur majestätischen Ruhe des Anfangs zurückkehrte.