Die Zeit
Pop-Pathos: Die Hochhaussinfonie der Pet Shop Boys
21. Juli 2008
«Revolution ist Krieg.» Der erste Satz eines Lenin-Zitates flimmerte am Donnerstagabend über die riesige Leinwand in der Dresdner Innenstadt. Es war der Auftakt zur gemeinsamen Vertonung von Sergej Eisensteins Film «Panzerkreuzer Potemkin» der Pet Shop Boys und der Dresdner Sinfoniker. Die Melange aus Film und Musik wurde dabei an einem ungewöhnlichen Ort aufgeführt. Schauplatz war ein 240 Meter langer DDR-Wohnblock auf der Prager Straße. Die Veranstalter sprachen von Deutschlands längstem Wohnhaus – und der weltweit ersten «Hochhaussinfonie».
Die grundlegende Idee hatte Sinfoniker-Mitgründer Sven Helbig dabei schon im Vorfeld preisgegeben. Ein Orchester sollte entgegen der herkömmlichen Sitzanordnung einmal in der Vertikalen spielen. So kam es, dass die Sinfoniker auf 42 Balkonen links und rechts der Filmleinwand Platz nahmen. Der klare Klang, der daraufhin die Nacht erfüllte, ließ alle Zweifler schweigen. Die Streicher und das Keyboard von Pet Shop Boy Chris Lowe gingen eine Liaison ein, die jede der hoch gesteckten Erwartungen erfüllte.
Das britische Duo untermalte zahlreiche Szenen des Stummfilms aus dem Jahr 1925 mit pathetisch anmutenden Pop-Klängen. Das wiederum schien dem Film, den Fachleute zum besten aller Zeiten kürten, angemessen. Wenn Eisenstein Nahaufnahmen Gesichter der meuternden Matrosen oder der wehrlosen Bürger Odessas zeigt, spiegelt sich dort die selbe Überhöhung wider. Der Expressionismus traf in diesen Momenten die Postmoderne. Überraschenderweise ergänzten sie sich gut.
Ähnlich gut aufeinander abgestimmt waren auch Aufführungsort und Vorfilm. Rasch wechselnde Bilder zeigten Aufstieg und Fall der DDR, widmeten sich besonders 1989 auch der Bedeutung der Prager Straße für die damaligen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Staatsmacht. Im Oktober jenes Jahres wurde auf dieser Straße der Hebel umgelegt zu einer friedlichen Revolution, als sich mitten aus den Protestierenden die «Gruppe der 20» bildete, die fortan mit Politikern und Uniformierten verhandelte.
Diese Parallele führte direkt zu Eisenstein. Schließlich endet «Panzerkreuzer Potemkin» nicht in der möglichen Schlacht mit der zaristischen Flotte. Die Matrosen der Schiffe, die die Meuterer angreifen sollen, verbrüdern sich vielmehr mit ihnen. Neil Tennants Zeilen wie «This is no time for tears» oder «Heaven is possible after all» mögen manchem platt vorkommen. In diesem Kontext funktionieren sie jedoch blendend. Und bei der berühmten Szene, in der ein Kinderwagen die Odessaer Hafentreppe hinunterrollt, hinter sich die schießenden Kosaken, könnten Worte kaum treffender formuliert sein als Tennants «How come we went to war». Assoziationen ins Heute nicht ausgeschlossen. Das Publikum war jedenfalls begeistert, die rund 10 000 Gäste applaudierten lange. Kurz zuvor hatte sich der Wohnblock dank einer Lichtinstallation selbst in ein riesiges Schlachtschiff verwandelt. Und als Tennant Dresden zum 800. Stadtgeburtstag gratulierte, war aller Pathos verflogen.