Sächsische Zeitung
Ein Konzert mit 500 Kilometern zwischen Keyboard und Gitarre
3. November 2023
Die Dresdner Sinfoniker spielen gleichzeitig in Radebeul und in Bochum. Fürs Publikum wird alles zu einem Klangerlebnis.
Seit ihrer Gründung 1997 sind die Dresdner Sinfoniker immer wieder für Überraschungen gut. Sie spielten 2003 einen Liederzyklus mit klassisch adaptierten Rammstein-Songs ein, traten 2004 auf dem Wohnblock an der Prager Straße zusammen mit den Pet Shop Boys auf, musizierten mit Alphörnern auf den Hochhausdächern von Prohlis und zuletzt gemeinsam mit historischen Dampfern von einem Schubschiff aus auf der Elbe. Jetzt folgt ein Konzert, bei dem gut 500 Kilometer zwischen den einzelnen Musikern liegen.
Am Freitag und am Sonnabend spielen in der Radebeuler Sternwarte der Keyboarder Andreas Gundlach und der Cellist Torsten Harder, im Planetarium von Bochum wiederum klinken sich die Gitarristen Steffi Narr und Lars Kutschke ein. Während dieses knapp zweistündigen Live-Musik-Experiments mit dem Titel „Long Distance Call“, zu Deutsch „Ferngespräch“, führt Gundlach, der schon länger im Kosmos der Dresdner Sinfoniker unterwegs ist, alle Beteiligten beim gemeinsamen Improvisieren zusammen. „Davor gibt an beiden Orten jeweils ein jazziges Duo-Programm“, kündigt Markus Rindt, Intendant der Dresdner Sinfoniker an.
Die Spielstätten weisen bereits auf das nächste Projekt der Sinfoniker hin. Rindt: „Wir arbeiten gerade mit dem Planetarium Bochum an einem interkontinentalen Musikprojekt, bei dem wir im Jahr 2025 verschiedene Ensembles weltweit live vernetzen wollen.“ Die Idee, jetzt erst einmal Radebeul und Bochum zu verbinden, sei dabei aufgekommen. „Sozusagen als kleiner Test vorab“, so Rindt. „Planetarien eignen sich sehr gut für solche Projekte, da man Videos – zum Beispiel von entfernten Ensembles – sehr flexibel an die Kuppel projizieren kann.“ Zudem sollen sich die Musikerinnen und Musiker von der Atmosphäre im Planetarium inspirieren lassen. „Wie sich das bei der Improvisation entwickelt, bleibt natürlich für alle eine Überraschung.“ Dass alles sehr schräg klingen könnte, bezweifelt Markus Rindt. „Da alle aus dem Jazz- oder Popbereich kommen, wird die Musik schon sehr zugänglich sein.“
Doch was macht eigentlich den Reiz am Musizieren über große Entfernungen aus? Rindt skizziert zunächst das Problem dabei: „Nach wie vor ist das Musizieren via Internet mit erheblichen technischen Herausforderungen verbunden. Beim Videogespräch fällt die Verzögerung, auch Latenz genannt, nicht auf. Man spricht halt abwechselnd.“ Beim Musizieren komme es aber auf das gleichzeitige Spiel an. Bereits bei einer Latenz von 30 Millisekunden hätten Musiker das Gefühl, dass die jeweils andere Seite konstant langsamer wird. „Da man auf die anderen wartet, kommt die Musik irgendwann zum Stillstand.“
Bereits seit 15 Jahren würden die Dresdner Sinfoniker mit Experten wie Alexander Carôt oder Gerhard Fettweis an der Reduktion der Signallaufzeiten arbeiten. „Viele der technischen Hürden konnten wir durch die Optimierung der Soft- und Hardware inzwischen nehmen. Falls es uns gelingt, die derzeit noch sehr komplexe Technik zu vereinfachen, werden in Zukunft Musiker europaweit über das Netz zusammenspielen können. Es könnte sich so anfühlen, als wären sie im selben Raum, nur wenige Meter voneinander entfernt.“ Das ergäbe vollkommen neue Möglichkeiten der künstlerischen Zusammenarbeit. Auch könnten Menschen miteinander musizieren, die aufgrund ihres Alters oder aufgrund von Krankheiten nicht mehr mobil seien. Rindt mutmaßt: „Das Musizieren übers Internet könnte in Zukunft so einfach werden wie heutige Videogespräche. Natürlich kann und darf man fragen, ob das leibhaftige Zusammenspiel im selben Raum nicht viel natürlicher ist. Die Antwort darauf ist für mich ein klares Ja.“
Ohnehin gebe es unüberwindliche Grenzen. „Da sich auch digitale Signale nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit bewegen können, werden interkontinentale Verbindungen, zum Beispiel zwischen Europa und Australien, musikalisch immer ein großes Problem darstellen. Leider können wir Einstein nicht überlisten.“ Doch eine Neuauflage des jetzt anstehenden musikalischen Ferngesprächs hat er bereits im Blick. „Für das Jahr 2026 entwickeln wir gerade ein Projekt mit elf europäischen Ländern, bei dem wir die großen Klangkörper live miteinander verbinden und temporär ein gemeinsames virtuelles Orchester erschaffen wollen. Insofern ist unser ,Long Distance Call‘ zwischen Radebeul und Bochum nur ein kleiner Anfang.“