Dresdner Neueste Nachrichten
22. November 2003
Von zwei Standpunkten aus betrachtet: Die Uraufführung «Mein Herz brennt” im Kulturpalast
Einsamkeit, Sehnsucht, Verzweiflung
Was dem ehemaligen Kruzianer Torsten Rasch mit «Mein Herz brennt» gelungen ist, geht über eine bloße Instrumentierung weit hinaus. Er hat, scheint mir, einen Akzent in der zeitgenössischen Sinfonik gesetzt, ohne dass er überhaupt eine Sinfonie schreiben wollte. Die Größe des Vorhabens und mehr noch die Kombination aus handwerklichem Geschick und der Fähigkeit, eine Stunde lang durchgängig eine Atmosphäre zu schaffen, ordnen die acht Orchesterlieder und die wie eine Introduktion vorangestellten Variationen in eine Linie der Sinfoniegeschichte ein, die sich an so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Berlioz, Mahler, Messiaen, Theodorakis und Górecki festmachen lässt.
Allen diesen Kompositionen ist gemeinsam, dass sie weniger den überkommenen Formenkanon der Sinfonie umgesetzt, sondern in einer der Sinfonie entlehnten Großform ein persönliches Klima erzeugt haben. Das kann je nach Thema des Werks und der individuellen Erfahrung zu völlig unterschiedlichen Stimmungen führen.
Rasch hat die Stimmung der Melodien und Texte von Rammstein übernommen und daraus ein Werk geschaffen, das mehr als die Summe seiner Einzelteile ist. Es ist stärker als die Vorlagen, die als Einzelstücke für sich stehen sollen und können, und es ist ein musikalischer Komplex entstanden, der in sich geschlossen ist, obwohl die Reihenfolge und die Zahl der Teile durchaus auch anders sein könnten.
Das Entscheidende an diesem Werk ist die suggestive Atmosphäre, die bei Rammstein anlegt und von Rasch extrem überhöht ist. Von heller und freundlicher Stimmung kann keine Rede sein. Sehnsucht ist noch das Positivste, was uns da entgegentritt; Einsamkeit und Verzweiflung dominieren und entfalten eine Sogwirkung, der man sich nur durch einen bewussten Verweigerungsakt entziehen kann, wenn man nicht Gefahr laufen will, ins Bodenlose zu fallen.
Da hilft auch die ironische Distanzierung nicht, die Katharina Thalbach in «Herzeleid» erzeugt. Dort und in «Ich will» findet sich sogar etwas, das als sinfonischer Rap bezeichnet werden könnte. René Pape sang seine umfangreiche Basspartie mit großer Noblesse und Einfühlsamkeit, ohne den Eindruck einer falschen Identifizierung mit den Textaussagen hervorzurufen. Und John Carewe leitete die Dresdner Sinfoniker mit großer Souveränität. Alle Interpreten hatten ja schon die CD-Einspielung hinter sich und waren dadurch optimal auf das Live-Konzert vorbereitet.
Torsten Rasch hat einen Talentbeweis vorgelegt, der den Eindruck seines Melodrams «Völuspa – Der Seherin Gesicht» vom August 2000 deutlich übertrifft. Vielleicht waren die begeisterten Zuhörer im Kulturpalast Zeugen eines Karrieresprungs, dessen Ende noch nicht abzusehen ist. Nach «Mein Herz brennt» sollte man den Dresdner Rasch für durchaus fähig halten, die zeitgenössische Musik noch um einiges mehr zu bereichern.
Von Peter Zacher
Tränenritt zu Mutters Schoß
Rammstein – schon seit jeher ein Stein des Anstoßes im wahrsten Sinne des Wortes, und, neben der straßenbautechnischen Bedeutung eine grausige Vokabel neuerer deutscher Geschichte. Der Ort, an dem Märchen enden. Eine Band als Zerreißprobe für die Gemüter der Popkultur, spielend mit Mythen, Urinstinkten und Tabus. Was unter Musikkritikern mittlerweile gelegentlich als zu eingefahrenes Schema gehandelt wird, operiert mit brachialen, kalten Sounds, sexuell ausgesprochen expliziter Lyrik und dem, was besorgte Mütter und desinteressierte Lehrer gern als «gewaltverherrlichend» abstempeln. Andere sind weiter gegangen, zu Unrecht wurden die Berliner des öfteren in die rechte Ecke geschoben. Was nur zeigt, was diese zwischen Schönheit, Grausamkeit, Kälte und Obszönität wandelnde und doch intelligente Provokation heraufbeschwören kann. Die Bedeutung dieses musikalischen Experiments für und sein Einfluss auf die zeitgenössische, auch populäre Kunst ist nicht zu leugnen, trotz des Eindrucks von Banalität, den es bei vielen hinterlassen mag.
Till Lindemanns Lyrik ist zweifelsohne ein hervorragender Stoff für das, was nun von manchem als erster klassischer Liederzyklus des 21. Jahrhunderts gepriesen wird und am Donnerstag im Kulturpalast seine Uraufführung erlebte. Wer an die direkt in Gehör und Blut gehende Stringenz und melodiöse Harmonie Rammsteins gewohnt war, sollte es an diesem Abend schwer haben, aber deshalb keineswegs schlecht. Die Neu-Kompositionen Torsten Raschs, die unter dem Titel «Mein Herz brennt» zusammengefassten Stücke sind Interpretationen, die die Dresdner Sinfoniker unter dem Dirigat von John Carewe auf eine zeitgenössisch-klassische Ebene hoben, weit, weit entfernt vom tausendsten Rock-meets-Klassik-Ramsch dieser diesbezüglich so unseligen Tage.
Als Krone des Ganzen stellte sich jedoch die Besetzung des Sangesparts durch René Pape und der Sprechrolle durch Schauspielerin Katharina Thalbach heraus. Die acht Stücke beginnen mit einer Ouvertüre, die hinter den noch zurückhaltenden Streichern allerhand percussionistischen Kleinkram offenbarte – ein Klingklang verschwommener Märchen, geschöpft aus einem dunklen Wasser, das Tier in uns, unsere verborgensten Ängste und Triebe herausfordernd – ein gut gedrehter Strang, der auch für den Rest der Aufführung nicht verloren ging.
«Mutter» eröffnet den Reigen der eigentlichen Stücke, und René Pape stößt eben jenes Wort zwischen Strophen so eruptionsartig und gedrungen hervor, dass ich als nicht gerade an dieses Sujet gebundener Rezipient die längste Gänsehaut erfahren durfte, die mir bislang von klassischer Musik geboten wurde. Doch vergessen wir nicht Katharina Thalbach, die Seltsame, der man anmerkt, wie gern sie das Dämonische herausarbeitet, ihre Stimme zum Ton des bösen Propheten-Zwergs zwingt, der vor Zweisamkeit warnt, am Rand zur Lächerlichkeit, aber keinen Schritt weiter. Herzeleid, Herzeleid! Und eine brillante Thalbach.
Die Aufführung schließt mit einem der betörendsten Texte des Zyklus – «Alter Mann». «Das Wasser soll dein Spiegel sein/Erst wenn es glatt ist wirst Du sehen/Wieviel Märchen dir noch bleibt/Und um Erlösung wirst du flehen.» Stehende Ovationen für dieses wundervolle Stück poetischer Desillusionierung.
Von Norbert Seidel