Sächsische Zeitung
Roboter sind keine Diven
14. Oktober 2024
Die Dresdner Sinfoniker feiern innovativ Jubiläum und lassen sich von Robotern dirigieren. Das ist spannend – und stoisch.
Von Karsten Blüthgen
Ein leises Grübeln machte sich breit im Vorfeld. Was haben die Dresdner Sinfoniker denn nun schon wieder ausgebrütet? 25 Jahre voller innovativer Projekte liegen hinter ihnen. Das Orchester spielte von Hochhausdächern und Elbdampfern, unter Ferndirigaten und interkontinental und stets neue Musik. Nun, zum Geburtstag, ließen sie sich erstmals auch von Roboterarmen dirigieren. Gibt das Anlass zur Sorge – heute, wo die Themen Robotik und KI immer relevanter werden? Die beiden Konzerte am Wochenende in Dresden klangen absichtsvoll nach Entwarnung. Wo Menschen musizieren und zu koordinieren sind, muss auch die Schaltstelle von einem Menschen besetzt sein – soll es keine Kompromisse geben.
Lebhaft das Treiben im Festspielhaus Hellerau. Freie Platzwahl im Großen Saal. Die Besuchenden waren hin- und hergerissen, nachdem sich die Saaltüren öffneten. Jetzt schnell einen guten Sitzplatz sichern oder doch erstmal den Bühnenaufbau aus nächster Nähe bestaunen? Der Bereich, wo gleich die Musik spielen sollte, war angesichts der filigranen, teuren Technik erstaunlich frei zugänglich. Flankiert von drei Podien im Halbkreis, war in der Mitte eine Leitstelle errichtet, eingefasst von sechseckigen Türmchen. Drei von ihnen waren in Richtung der Podien gebaut, jeweils gekrönt von Roboterarmen. Das Werk jahrelanger Forschung und Entwicklung wurde noch in der Konzertpause und danach ausgiebig bestaunt und fotografiert. Markus Rindt, Mitgründer und Intendant der Dresdner Sinfoniker, träumte schon vor zwei Jahrzehnten von so einem Projekt. Nun wurde es in Kooperation mit dem Exzellenzclusters CeTI an der TU Dresden endlich Realität.
Andreas Gundlach, Komponist, Pianist und ein Sinfoniker-Urgestein, führte brillant durch das Programm mit sieben Stücken. Er schickte voraus, wie faszinierend und unersetzbar der Mensch doch sei mit seiner Seele, den ästhetischen Bewegungen und allem, was ihn auszeichnet. Das Projekt habe diese Erkenntnis aufgefrischt. Gundlach lockerte damit wohl manche Sorge oder Verklemmung in den Erwartungen des Publikums.
Deutsche Erstaufführungen und Uraufführungen sind bei den Sinfonikern Standard. Diesmal gab es deren fünf. Drei Uraufführungen werden als von Robotern geleitet in die Geschichte eingehen. Ebenfalls zur Norm von Sinfoniker-Projekten gehört: Sie sind spannend bis zur letzten Minute, zumal kaum etwas Routine ist. Besondere Herausforderung diesmal neben der Kommunikation mit Robotern: Dirigent Michael Helmrath, dem Orchester seit Anbeginn verbunden, sagt krankheitsbedingt kurzfristig ab. Sein norwegischer Kollege Magnus Loddgard eignete sich binnen weniger Tage das Material an, neu und sperrig wie mancher Titel. „f..A..lling. l..I..nes. (better stay human)“ hat Markus Lehmann-Horn ein Stück benannt, bei dem zu Beginn ein Presslufthammer eine akustische Schneise schlägt. Wieland Reissmanns „Colours of Seikilos“ bot irrsinnig schöne Klangkombinationen. Wann hört man schon ein Solohorn nur begleitet von vier Tuben? Das variable Orchester war 20 Mitglieder stark und, wie bei letzten Projekten, nur mit Blech und Schlagwerk besetzt.
Im zweiten Programmteil wurde es ernst. Loddgard hatte bis zum Finale Pause, Gundlach zündete per App die Roboterarme. Dirigierstäbe leuchteten nun in Zyan, Magenta und Gelb. Dann trieben sie „#kreuzknoten“, ein weiteres Reissmann- Werk, und Andreas Gundlachs wortspielerisches „Semiconductor’s Masterpiece“ voran. Zwischendurch war der herrliche Kurzfilm „Spot.Me“ zu erleben. Jugendliche vom Gymnasium Dresden-Johannstadt tanzten zusammen mit Roboterhund Spot Charleston.
Gundlach spricht vom Semiconductor – Halbleiter, denn mit solchen sind die hier eingesetzten Roboter zu vergleichen. Sie haben menschliche Dirigierbewegungen gelernt. Aber sie können nicht auf die Musizierenden reagieren. Zeigen weder Mimik noch Genuss. Sie atmen nicht, ihnen tropft kein Schweiß von der Stirn. Die Roboter ziehen durch, und in leisen Passagen hörte man, wie sie dabei angestrengt surren. Ob das auf Dauer gut ist für die Gelenke? In Sachen Schnelligkeit sind die Roboter stark limitiert. Aber die Art, sich wie ein Dirigent zu bewegen, ließ in Hellerau selbst Experten staunen. Stoisch ließen die verschiedenen Arme Takte und Tempi auseinanderlaufen – Musiker waren hier extrem gefordert.
Roboterdirigenten sind keine Diven und können nicht krank werden, das mag ein Vorteil sein. Aber nachdem Markus Rindt lange träumen musste von einem Konzert wie diesem, so wird nach Jahren schon wieder mehr möglich sein. Dann werden den Armen mit Stäben auch technische Augen und Ohren gewachsen sein. Die Sorge, dass der Mensch ersetzt werden würde, sieht Rindt nicht. Frühere Neuerungen in der Musik zeigten sich stets als Ergänzung.
Das Konzert am Samstag läutete zugleich die zweite Ausgabe der Hybrid-Biennale ein. An den Wochenenden bis zum 27. Oktober sind in Hellerau Konzerte, Installationen, Performances und ein Symposium zu erleben – wie wandeln sich künstlerische, architektonische und kulturelle Räume im digitalen Zeitalter?