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20 Jahre Dresdner Sinfoniker: Von der Biergartenidee zum Weltklasseorchester

30. Oktober 2018

Die Dresdner Sinfoniker sind mit Abstand das konservativste Orchester in Sachsen: Sie bleiben einfach nur ihrem Innovationsdrang treu, ihrer Lust an der Musik und ihrem beharrlichen Einmischen in die Belange des Humanismus. Jetzt feiern sie ihr 20-jähriges Bestehen.

Die Dresdner Sinfoniker sind engagierte Grenzgänger zwischen Kulturen und bleiben auch in ihrem Jubiläumsjahr ihrem eigenen Anspruch treu, mit Musik aus aller Welt ganz real in alle Welt hineinzuwirken. So wird auch das am 1. November anstehende Konzert „20 Jahre Dresdner Sinfoniker“ ein Bekenntnis zur zeitgenössischen Musik und mit dem Bestreben verbunden sein, bestehende Grenzen mit friedlichen, mit musikalischen Mitteln zu überwinden. Das 1997 von Sven Helbig und Markus Rindt initiierte Orchester setzt sich aus Musikerinnen und Musikern bedeutender europäischer Klangkörper zusammen und tritt stets für eigens initiierte Projekte in Erscheinung. Mitglieder der Dresdner Philharmonie und der Sächsischen Staatskapelle musizieren darin gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Berlin, Leipzig und Wien. Ensembles wie das Kronos Quartet, Gäste wie Katharina Thalbach, Peter Damm, Andreas Boyde, Peter Bruns, René Pape, Bryn Terfel und viele andere haben bereits mit dem Orchester musiziert.

Herausgekommen sind unvergessliche Projekte wie die spektakuläre „Hochhaussinfonie“ von 2006 mit den Pet Shop Boys, zwei Jahre später das erste Ferndirigat der Welt mit Michael Helmrath sowie 2010 das als anatolische Reise apostrophierte Stück „Hasretim“, eine sehnsuchtsvoll musikalische Suche nach kultureller Identität, die der Komponist, Gitarrist und Produzent Marc Sinan gemeinsam mit Musikern aus Aserbaidschan, Kasachstan und Usbekistan für eine zeitlos aktuelle Version des zentralasiatischen Mythos’ um „Dede Korkut“ mit diesem Klangkörper realisiert hatte. Als Reaktion auf den anhaltenden Konflikt zwischen Israel und Palästina gab es 2013 die „Symphony for Palestine“, das Massaker an tausenden Armeniern wurde zwei Jahre später – 100 Jahre nach dem von der türkischen Regierung bis heute geleugneten Genozid – in dem vielbeachteten deutsch-türkisch-armenischen Konzertprojekt „[aghet] – [ağıt]“ thematisiert. Aktuell wurden auch der militärisch ausgetragene Konflikt zwischen Russland und der Ukraine mit „Panzerkreuzer Potemkin“ sowie – nach dem transkontinentalen Konzert zur Zeitenwende der Maya, das Ende 2012 zeitgleich von Musikern in Mexiko und Dresden aufgeführt wurde – das Konzert „Tear Down This Wall“ zum umstrittenen Grenzprojekt der USA aufgeführt.

Aller Internationalität zum Trotz bekennt sich dieses Orchester zu seiner Herkunft, die es im Namen trägt und die nicht zuletzt auf den Impuls in einem Biergarten an der Elbe zurückgeht. Zu Hause aber ist es in aller Welt. Auftritte in Athen, Berlin, London, Madrid und Paris gab es ebenso wie in Armenien, Griechenland und Israel, in Mittelamerika an der Grenze zwischen Mexiko und den USA sowie in der Türkei und im Westjordanland. Die Dresdner Sinfoniker wollen nicht, dass der Welt und den Menschen weiterhin all das angetan wird, was aus Hass und Unrecht geschah und geschieht. Aus neuem Unrecht erwächst nur neuer Hass, davon sind sie überzeugt. Dass sie mit Musik für eine bessere, für eine gerechtere Welt sorgen wollen, ist ehrliches Engagement und speist sich aus der Anteilnahme am Geschehen um uns herum. Die Dresdner Sinfoniker sind davon überzeugt, dass es kein fremdes Leid gibt, darum widmen sie ihre Projekte den Missständen und Massakern, dem Trennenden und Verleugneten ebenso wie dem Gemeinsamen und Verbindenden.

Das Jubiläumskonzert der Dresdner Sinfoniker – die 2000 mit dem Kunstförderpreis der Stadt Dresden ausgezeichnet wurden – soll an diese Traditionen mit gleich drei Uraufführungen erinnern. Musik vom Altmeister Frank Zappa erklingt in einem völlig neuartigen Engagement mit dem Universal Druckluftorchester von Peter Till. Der Klangtüftler passt ebenso zu Zappas Œuvre wie zum Experimentierwillen der Sinfoniker und wird sein seit 1998 bestehendes Druckluftorchester auf Zappas letzte große Hinterlassenschaft „The Yellow Shark“ (1993) einstimmen – was insofern eine Herausforderung ist, dass die programmierte Pneumatik punktgenau von den Musikerinnen und Musikern aufgegriffen werden muss. Das eigens zu diesem Konzert entstandene Stück „Quartüürium“ von Andreas Gundlach wird der Komponist an den elektronischen Tasteninstrumenten und am Flügel interpretieren. Er ist den Dresdner Sinfonikern schon lange verbunden und wird auch in dieser der Quarte verschriebenen Arbeit – seinem ersten Orchesterwerk – eine genreverbindende Grenzüberschreitung bestreiten, die Jazz und Sinfonik ineinanderfließen lässt.

Derlei Vielfalt trägt die Rockoper „El Resplandor de los Disidentes“ des mexikanischen Komponisten Enrico Chapela bereits in ihrem Titel. Ihre konzertante Uraufführung zum Jubiläumskonzert steht ganz und gar in der Traditionslinie der Sinfoniker, denn sowohl die innovative Musiksprache dieses Künstlers mit ihren engen Verflechtungen von Folklore und klassischer Moderne als auch die klare Position einer Protesthaltung gegen Gewalt zählen zu den Eckpfeilern. Der 1974 in Mexiko-Stadt geborene Komponist, Gitarrist und promovierte Musikwissenschaftler Chapela hat in dieser Oper auf tatsächliches Geschehen zurückgegriffen und wird mit seiner Rockoper in die nahezu weltweiten Protestbewegungen von 1968 zurückführen. Eines der tragischsten Kapitel jener Zeit war das Massaker vom 2. Oktober 1968, bei dem auf der Plaza de las Tres Culturas im mexikanischen Tlatelolco hunderte Studenten ermordet worden waren. Chapela setzt den Mutigen von damals nun mit „El Resplandor de los Disidentes“ (etwa „Der Glanz der Dissidenten“) ein klingendes Denkmal, das wohl bestens zur engagierten Arbeit der Dresdner Sinfoniker passt. Als nachträgliches „Geburtstagsgeschenk“ erhält Intendant Markus Rindt Anfang Dezember den Erich-Kästner-Preis des Dresdner Presseclubs für das vielfältige Engagement gegen Nationalismus, Fanatismus und Abschottung.

Von Michael Ernst