Dresdner Neueste Nachrichten
Uraufführung in amerikanischem Spannungsbogen
03. November 2018
Dresdner Sinfoniker feierten mit ihrem Publikum beim Jubiläumskonzert im Erlwein Capitol
2018 ist ein Jahr zahlreicher „runder“ Jahrestage, die, angefangen beim 2. Prager Fenstersturz, durchaus nicht sämtlich als Jubiläen anzusehen sind. Die Dresdner Sinfoniker sind ein vergleichsweise junges Orchester, dessen Mitglieder und Protagonisten dennoch in reifere Jahre gekommen sind, was sich aber durchaus positiv sehen lässt, nicht zuletzt in puncto Welt- und Weitsicht. Das Jubiläumskonzert, das ziemlich programmkonform im Rahmen der Dresdner Jazztage im Erlwein Capitol über die Bühne ging, spannte den Bogen zwischen zwei Gedenktagen mit einer Uraufführung, die ebenfalls mittlerweile musikhistorische Aspekte bediente. Das alles entsprach durchaus dem Grundprinzip, das Kunstministerin Eva- Maria Stange (SPD) in ihrem ohne Anmoderation vorgetragenen Grußwort gelobt hatte. Nämlich immer wieder innovative Grenzgänge zwischen Kulturen und Ausdrucksformen zu unternehmen und mit allem Spaß an der Sache für Toleranz und humane politische Anliegen einzutreten. Wie provokant und „gegen den Strom“ das wirken kann, hängt auch vom äußeren Rahmen ab.
Den Anfang machte man mit Frank Zappa (25. Todestag am 4. Dezember) und seinem 19-teiligen Orchesterwerk „Yellow Shark“, von dem allerdings nur drei Parts geboten wurden. Auf den Be-Bop Tango, der gerade so ausreichte, um sich in Zappas vertrackte Rhythmik und schwer berechenbare Melodiebögen einzuhören, folgte mit Peter Till ein Solist ganz besonderer Art, der seit übrigens auch 20 Jahren sein immer weiter vervollkommnetes Universal Druckluftorchester spielt bzw. ansteuert. Diesmal hatte eine Art (senkrecht stehendes) Marimbaphon Premiere – „weil die Partitur es verlangte“. Tills Version des „Uncle Meat“ erwies sich als frech, witzig, voller Überraschungen, schlicht kongenial. Das Zusammenspiel beider „Klangkörper“ lebte auch von deren skurril anmutender und trotzdem weitgehend souveräner Kompatibilität. Der neben den anderen Protagonisten vorab viel zu wenig gewürdigte Till ist aber eben nicht nur ein geschickter Bastler oder Maschinist, sondern ein Erzmusiker, der als Grenzgänger zwischen den musikalischen Welten den Sinfonikern auf Augenhöhe „von der anderen Seite“ entgegen kommt.
Für die aufkommende Begeisterung blieb nur wenig Zeit. Dass die folgende Uraufführung von Andreas Gundlachs „Quartüüryum“ unter keinem so günstigen Stern stand, lag aber in erster Linie an der kurzfristigen Absage des Pianisten Andreas Boyde aufgrund eines Todesfalls. Das Konzert für Synthesizer, Klavier und Orchester dennoch über die Bühne zu bringen, verdient allein schon allen Respekt. Das Stück, das laut Komponist ursprünglich eigentlich „Lallejuha“ (ironisierendes Anagramm von Halleluja) heißen sollte, traktiert Musiker und Hörer
ergo mit verschachtelten Quarten bzw. mit viertönigen Sequenzen, und zwar weit weniger ausgeklügelt intellektuell als durchaus lustvoll, und das übertrug sich trotz der zusätzlichen Anspannung und ohne Zusammenspiel zweier Solisten. Am Beginn stehen u.a. gezogene Intervalle (typisches Stilmittel des Synthesizers, zumal bevor er erwachsen und polyphon wurde). Tonwellenschaukeln, im Orchester aufgenommen durch die Streicher und wohl auch Posaunen, bald abgewandelt in beinahe pathetische, filmreife Klangfarbenspiele. Ähnliches geschieht, wenn das Klavier mit anspruchsvollen quartenbetonten Läufen jazzverwandte Rhythmik zaubert, die dann wieder konterkariert wird von harschen Orchesterschlägen oder fast verträumter Lyrik der tiefen Bläser; da fällt es nicht immer leicht, den Faden zu behalten. Ein Vergleich zu Zappas Bezügen zur amerikanischen Musiktradition wäre nicht nur interessant, sondern auch erhellend gewesen.
Der zweite Teil des Abends war der konzertanten Uraufführung der Rockoper „El Resplandor de los Disidentes“ vorbehalten, die an Ereignisse des Jahres 1968 in Mexiko erinnert, die man in Europa kaum wahrgenommen hat, weil man hier mit Paris und Prag beschäftigt bzw. der Fokus nur auf Olympia im Land der Azteken gerichtet war. Aber auch dort waren tausende junge Leute gegen das Establishment und die Verhärtung überkommener Strukturen auf die Straße gegangen, ihre Hoffnungen hatte man mit Waffengewalt zunichte gemacht. Das Werk des erst 1974 geborenen Enrico Chapela (der selbst E-Gitarre spielte) zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass es das Orchester mit seinem ausdrucksvollen Streicherapparat und dem satten Bläserklang nicht zum Begleitinstrument degradiert. Dabei klingt es, als sei es tatsächlich in der Zeit, also parallel zu dem US-amerikanischen Musical „Hair“ entstanden. So hat es etwas vom naiven Pathos jener Zeit und von ihren bescheidenen, dennoch bis heute nicht verwirklichten Utopien bewahrt. Es schöpft aus der Folklore und kommt mit vergleichsweise einfachen, erst aufrüttelnd stampfenden, später differenzierteren Rhythmen und lyrischen Klangstrukturen daher. Scheinbar ein inhaltlicher Widerspruch, der sich aber in einer immer stärker spürbaren Haltung eines alternativlosen „Trotz alledem“ auf- löst. Dadurch erscheint auch das Sänger- Quartett glaubwürdiger, dessen Mitglieder nach Bedarf die Rollen von mutigen Studenten, opportunistischen Beamten, beflissenen Militärs und, etwas herausragend, des zynischen Präsidenten einnehmen.
Ein Abend, bei dem es um viel Bedenkenswertes ging, nicht aber um vordergründige Virtuosität. Ganz unspektakulär sicher hielt auch hier Premil Petrovic aus der zweiten Reihe die Fäden in der Hand.
Von Thomas Petzold