Dresdner Neueste Nachrichten

Der Satellit macht’s möglich

08. September 2008

Jubiläumskonzert der Dresdner Sinfoniker mit dem ersten Ferndirigat der Welt

Ob das Schule macht? Das Orchester an einem Ort, der Dirigent an einem anderen? Zumindest geschah das am Sonnabend im Kulturpalast beim Konzert aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der Dresdner Sinfoniker. Da stand der Dirigent Michael Helmrath, der dem Orchester seit Jahren verbunden ist, im Zentrum Londons und dirigierte den Drehorgelspieler Moshe Silbermann, der in Helmraths unmittelbaren Nähe sein Instrument drehte, und das Orchester auf der Bühne in Dresden. Via Satellit wurde das Bild seiner unübersehbaren Gestalt auf Monitore und eine semitransparente Wand übertragen. Hören konnte Helmrath nur die Drehorgel, während das Orchester für ihn ein reiner Glaubensakt blieb – nicht hören und doch glauben. Nun mag ein solches Vorgehen bei der Ouvertüre zu „Star Wars“ von John Williams noch möglich sein, weil die für die Ausführenden von der Qualität der Sinfoniker keine übermäßigen Schwierigkeiten bedeutet. Bei komplizierteren Werken ist davon abzuraten, zumal das Ganze nicht mehr als ein netter Spaß ist, der kaum künstlerischen Eigenwert besitzt.

Die anderen Werke des Jubiläumskonzerts bedurften eines Dirigenten am Ort des Orchesters. Da war der Este Olari Elts die richtige Wahl, denn er leitete die Sinfoniker mit außergewöhnlich genauer Schlagtechnik und oft mit vollem Körpereinsatz, was der Präzision der Ausführung zugute kam. Am Anfang stand die Uraufführung von Torsten Raschs „excantare fruges“, eines Auftragswerks der Sinfoniker und des Sinfonieorchesters Osnabrück. Spätestens seit „Mein Herz brennt“ weiß man um Raschs Fähigkeiten im Umgang mit großen Orchestern. Auch diesmal war seine Instrumentierung von hoher Qualität. Dagegen stand seine Arbeit mit thematischem Material etwas im Hintergrund und die Permutationen und Variationen, von denen er in seiner Werkerläuterung spricht, waren nicht mit gleicher Deutlichkeit erkennbar. Es scheint ein grundsätzliches Problem zu sein, dass man die Inhalte verbaler Äußerungen von Komponisten in der Musik nur in Ausnahmefällen wiederfindet.

Der stärkste Eindruck des Abends ging von „Noctámbulos“ aus, das der Mexikaner Enrico Chapela im Auftrag der Sinfoniker für Rocktrio und Orchester geschrieben hat und in diesem Konzert ebenfalls uraufgeführt wurde. Das tragende Element dieses Werks sind die kontrastierenden Rhythmen, die sich bis zur Polyrhythmik steigern. Dabei sind große Eruptionen und eine spannende Orchestrierung, drangvolle Ostinati und unwiderstehlicher Drive ergänzende Parameter. Chapela beweist hier seine Fähigkeit, schwebende Melodik zu komponieren und einzelnen Soloinstrumenten – neben dem Trio hauptsächlich Blasinstrumenten – zuzuweisen. Die Komposition ist voller Raffinement, die aber durch die Vitalität der Musik als völlig natürlich und oft auch als spontan empfunden wird. Die astrologischen Spekulationen Chapelas, die er in seiner Werkeinführung benennt, muss man als Hörer zum Glück nicht nachvollziehen, obwohl sie vielleicht für Eingeweihte genau das sind, wodurch das Werke erst seine letzte Klarheit bekommt.

Durch die Aufführung der Sinfonie Nr. 5 für Bigband, E-Gitarre und Orchester von Erkki-Sven Tüür konnten wir einen interessanten estnischen Komponisten kennen lernen. Über estnische Musik wissen wir wohl nur das, was uns durch die Werke Arvo Pärts bekannt geworden ist. Das ist einigermaßen ungerecht, weil Pärt sicher eine Ausnahmeposition besetzt und ein Blick in die Werkliste Tüürs zeigt, dass es eben noch viele andere Kompositionen aus Estland gibt. Über Tüür ist zu lesen: er „befasst sich mit verschiedenen Polaritäten, etwa mit Minimal Music oder serieller Musik, und kombiniert beide in einer Komposition – heraus kommt kein postmodernes Crossover, sondern eine durchstrukturierte Partitur.“ Seine Sinfonie legt davon ein klares Zeugnis ab, konnte aber trotz souveräner Bewältigung durch die Ausführenden – neben den Sinfonikern Jens Legler an der E-Gitarre und das Berlin Jazz Orchestra – nur mit Blick auf die intelligente Schreibweise überzeugen. Die Sinfonie in ihrer Gesamtanlage und ihrem strukturellen Grundkonzept ist zu sehr der Schreibweise der siebziger und achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts verpflichtet, um tatsächlich Neues zu vermitteln.

Ein Ärgernis ist zu kritisieren. Die Deutsche Grammophon, bei der eine CD mit den Dresdner Sinfonikern erschienen ist, hat auf den gleichen Abend die Vorstellung einer neuen CD mit René Pape gelegt, so dass sich zwei Veranstaltungen gegenseitig Konkurrenz geliefert haben. Das ist zwar ziemlich schwachsinnig, kann uns aber die Freude darüber nicht verderben, dass sich die Dresdner Sinfoniker in den zehn Jahren ihres Bestehens einen Ruf erarbeitet haben, den wohl nicht einmal die Initiatoren bei der Gründung des Orchesters für möglich gehalten haben. Das „Wunder von Dresden“ ist geschehen und hat aus den Wurzeln eine prachtvolle Krone wachsen lassen. Gehen wir also mit den Sinfonikern getrost in das zweite Jahrzehnt ihrer Existenz, das mit dem Jubiläumskonzert schon unüberhörbar begonnen hat.

Peter Zacher