Märkische Oderzeitung

Rammstein in neuer Dimension

24. November 2003

Dresdner Sinfoniker brachten Torsten Raschs Zyklus «Mein Herz brennt» zur Uraufführung

Dass sich große Sinfonieorchester der Interpretation so genannter U-Musik widmen, ist schon längst keine Seltenheit mehr. Dass sich die Genres vermischen, ist spätestens seit Frank Zappa enttabuisiert. Doch so mancher Rammstein-Fan wird vielleicht enttäuscht sein, da er in Torsten Raschs Neuvertonung der Lieder «Herzeleid» oder «Sehnsucht» nichts oder nur wenig von der Musik der Metal-Band wiederentdecken kann.

So wurde vor allem dem eingefleischten Anhänger des rockigen Genres Stiloffenheit abverlangt, als am Freitag in der Arena-Treptow in Berlin (tags zuvor im Dresdner Kulturpalast) Raschs Liederzyklus «Mein Herz brennt» seine Weltpremiere feierte. Denn zwar stammen sämtliche Texte der insgesamt acht Orchesterlieder aus der Feder von Rammsteinsänger Till Lindemann. Nichtsdestotrotz wird man mit einer klassischen, dabei ungewöhnlichen und experimentierfreudigen Komposition konfrontiert, die die kraftvolle Wortsprache in eine nicht minder kraftvolle, dabei feinfühlige musikalische Umsetzung einzubetten versteht.

Für qualitatives Höchstniveau sorgten die Dresdner Sinfoniker, die sich seit ihrer Gründung im Jahr 1997 ausschließlich der Interpretation zeitgenössischer Musik widmen. Unter der Leitung des Briten John Carewe, mit dem Star-Bass-Bariton René Pape und der Schauspielerin Katharina Thalbach glänzte ein hochkarätiges Ensemble und brachte nicht zuletzt durch die ihnen eigene Ausdrucksstärke und Professionalität das anfangs eher skeptische Publikum zum abschließenden Jubel. Einige wenige Buhrufer hatten zwischenzeitlich die Arena verlassen.

Besondere Dimension erhält das Werk durch die fein nuancierte Verbindung von sprachlicher und orchestraler Form. So schmeißt Katharina Thalbach mit rauher Stimme und rhythmisch auf den Punkt gebracht dem Publikum ein «Ich will» um die Ohren oder gibt sich eindringlich und melodiös den Versen von «Sehnsucht» hin. Sie spricht nicht nur, sie stellt dar. Demgegenüber schreit René Pape mit Stimmgewalt nach «Mutter» im gleichnamigen Lied, ohne dabei seinem stets weichen, abgerundeten Timbre Abbruch zu tun.

Die Idee, die sehr emotionalen, von menschlichen Urinstinkten sprechenden Texte von Rammstein neu umzusetzen, stammt von dem Jazz-Schlagzeuger und Dresdner Sinfoniker Sven Helbig. Schließlich konnte der Komponist Torsten Rasch für das Projekt gewonnen werden, das in seinem Ergebnis weit darüber hinausgeht, den Geist der Metal-Band einem neuen Publikum nahe zu bringen. Denn Musik spricht eine eigene Sprache, und somit führt die Neuvertonung zwangsläufig zu einer Neubewertung textlicher Inhalte. So setzt Rasch ganz klar neue Pointen, auch wenn er sich bisweilen auf Rammsteinische Motive bezieht. Zeitgenössische Elemente werden verwoben  mit klassischen und romantischen Traditionen sowie avantgardistischen Tönen des 20. Jahrhunderts. Mit dem oft sehr deutlichen Bezug auf Richard Strauss, Mahler oder Schönberg produziert Rasch üppige Klänge voller Pathos, weiß aber auch gezielt die leisen Töne einzusetzen. Die meist düsteren Texte gewinnen völlig neuartige, vielschichtigere Facetten, bleiben aber in dieser anderen Umsetzung auch der Brutalität und Finsternis der Originale treu. Ein Unterfangen, auf das sich einzulassen lohnt. Und da ist sowohl der Metal- als auch der Klassikfan über alle Maßen gefordert.

Von Claudia Große