Neues Deutschland

Grandiose Symbiose

24. November 2003

Mein Herz brennt – Uraufführung von Torsten Raschs Orchesterliedern

Sein Gedichtband »Messer« bescherte Till Lindemann bei der Wahl zu den »100 peinlichsten Berlinern« im Stadtmagazin »Tip« einen unrühmlichen 21. Platz. Ein Schock-Rocker als Lyriker. Kein Wunder, dass seine Extrem-Verse schnell abgestempelt und belacht sind. Über Lindemanns Buch ein abwertendes Urteil zu treffen, ist ebenso leicht, wie die martialische Ästhetik seiner Band Rammstein zu verdammen. Wer sich nach dem Ort benennt, in dem 1988 bei einem Flugzeugunglück 74 Menschen starben, wer bei seinen brachialen Bühnenshows gestählte Körper in Flammen aufgehen lässt und in einem Videoclip auf die Leni-Riefenstahl-Bilder von den Olympischen Spielen 1936 zurückgreift, provoziert dazu, das Image von Menschenverächtern, gar Rechtsradikalen verpasst zu bekommen.

Umso erstaunlicher, dass es gerade Gedichte des »peinlichen« Lindemann waren, die am Beginn eines bemerkenswerten Projekts der Dresdner Sinfoniker standen. In deren Auftrag hat sich der Komponist Torsten Rasch acht Rammstein-Texten angenommen und sie für Orchester neu vertont. Entstanden ist der Liederzyklus »Mein Herz brennt«. Einen Tag nach der Dresdner Uraufführung war er am Freitag auch in Berlin zu hören. Den Anstoß zu dieser gewagten Symbiose gab Sven Helbig, Mitbegründer der Dresdner Sinfoniker. Vor Monaten stieß er auf Gedichte Lindemanns, die ihn wegen ihrer »Zerbrechlichkeit und Vergeistigung« faszinierten. Die starke Emotionalität dieser Texte habe sofort musikalische Assoziationen in ihm geweckt und ihn auf den Gedanken gebracht, sie einer Produktion seines Orchesters zu Grunde zu legen.

Rockmusik im klassischen Gewand ist längst keine Seltenheit mehr. Dass Texte einer Rockband aber zur Inspirationsquelle für die Komposition eines völlig anderen Werks werden, das gab es wohl noch nie. Mit großer Ernsthaftigkeit und viel Fantasie eröffnete Komponist Torsten Rasch den Rammstein-Texten ungeahnte klangliche Dimensionen. Ohne bemüht zu wirken, kombinierte er dabei musikalische Elemente von der Klassik bis zu Schönbergs Atonalität und schuf mit seinem Rammstein-Zyklus ergreifende, große Musik. Dass Rasch jahrelang als Filmkomponist gearbeitet hat, schlägt sich im unbeschreiblichen Assoziationsreichtum dieses Werks nieder.

In der kühlen Werkhallen-Tristesse der Berliner Arena, die ungleich besser zur Zerrissenheit dieser Musik passte als etwa die gediegene Atmosphäre des Konzerthauses oder der Philharmonie, schwoll der Klangkörper vom leisen, beängstigenden Flimmern zum monumentalen Zusammenklang an. Wiegende Streicher ließen das trügerische Bild einer ruhigen See entstehen, doch im Hintergrund kündete das Donnern der Pauke schon vom drohenden Unheil. »Komm in mein Boot« ertönte die Stimme von Bass-Bariton René Pape wie aus unbestimmbarer Ferne, die Rammstein-Melodie dehnend, verfeinernd, verfremdend: »Ein Sturm kommt auf, und es wird Nacht«. Ohne in platte Lautmalerei zu verfallen, vervielfachte das aufgewühlte Orchester das Text-Gefühl aufbrausender Angst, verzweifelter Einsamkeit: »Wo willst du hin,/ so ganz allein treibst du davon./ Wer hält deine Hand,/ wenn es dich nach unten zieht?« Grandios auch die Leistung von Katharina Thalbach als Sprecherin. »Lass mich deine Träne reiten«, deklamierte sie mit rauer, sehnsuchtsvoller Stimme, »übers Kinn nach Afrika«. In ein graues Leinenkleid gewandet, formte sie die Worte mit ihrem Körper, ihren Händen und ließ sie mit einer Intensität hervorbrechen, die um ihre Stimmbänder und um die seelische Belastbarkeit ihrer Zuhörer fürchten ließen. Doch die waren begeistert. Das Publikum, das hier zusammengekommen war, würde man so weder in einem klassischen Sinfoniekonzert noch auf einer Rammstein-Show vermuten. Ein paar Rocker, einige Weißhaarige, viele Dreißiger und Vierziger. Dass sie am Ende gemeinsam applaudierten, zeigt, dass das Experiment der Dresdner Sinfoniker gelungen ist.

Von Martin Hatzius