Das Opernglas

Wenn das Herz brennt

November 2003

Wenn René Pape, Deutschlands führender Bassist, die Uraufführung von ungewöhnlichen Orchesterliedern singt, ist ihm Aufmerksamkeit sicher. Am 20. November in Dresden und tags darauf in Berlin erklingt erstmals der von Torsten Rasch (Jahrgang 1965) komponierte Liederzyklus «Mein Herz brennt», die CD zur Uraufführung ist mit René Pape vorab aufgenommen wurden. Allein die Tatsache, dass eine Komposition bewusst auf die Spätromantik und den Frühexpressionismus um Mahler/Strauss bezogen wird und damit nur wenig „Neues“ zur Entwicklung der Kunstform beiträgt, verdient differenzierte Beachtung.

In der Tat hat es der scheinbar rückwärts gewandte Zyklus «Mein Herz brennt» in sich, denn die Liedtexte sind zuvor als Rammstein-Lieder veröffentlicht worden. Rammstein, eine der radikalsten und umstrittensten Bands, die provozierend viel Krach- und Geräuschelemente in ihre „Musik“ aufgenommen hat und auch durch unangepasstes Äußeres anstößt. Rammsteins Texte offenbaren eine erstaunliche Vielfalt an emotionalen Zuständen und dramatisch wirkungsvollen Situationen, die förmlich nach einer reichhaltigen, expressiven Vertonung schreien – quasi dramatische Opernszenen im Heavy-Metal-Korsett statt ehrbarer Lyrik von Vertretern der „Hochkultur“. Wie der Komponist Rasch erklärt, geht es in seiner Komposition „um Verlust und Trauer. Am Ende existiert jedoch immer eine Versöhnung mit dem Ganzen. Man wird nie zurückgelassen mit dem Nichts.“ Zwangsläufig kommt er zu anderen Lösungen als die Band, deren gewöhnungsbedürftiger „Industrial-Metal-Stil“ weltweit von Millionen Fans gefeiert wird. Torsten Rasch fängt da an, wo Strauss und Mahler aufgehört haben.

Insbesondere dann, wenn Katharina Thalbach mit ihrer hexengleichen Stimme zur Musik spricht, meint man eine zweite Klytämnestra zu hören. Sie wird von einem Orchester begleitet, das auch Ausflüge in Richtung Schönberg oder Reimann wagt und farbigsten Sound im cineastischen Stil produziert. Also mal spätromantische, mal expressionistische Lieder, die dank der ungewöhnlichen Tontechnik an eigenem Format gewinnen. Während die Solisten René Pape und Katharina Thalbach im Vordergrund dominieren, spielen sich hinter ihnen klangliche Gewitter ab, die von Blech und Schlagwerk bestimmt, aber immer wieder von hohen Streicherkantilenen unterbrochen werden. Der reichhaltige, beim ersten Hören nur unvollständig zu erfassende, doch nicht überladen wirkende Orchestersatz erklingt mit deutlichen Veränderungen in der Balance der Instrumente und erfährt dadurch Klangnuancen und –effekte, die live so nicht erzielt werden können. Dass Katharina Thalbachs skurrile Sprechstimme in Liedern wie «Herzeleid» oder «Ich will» gespenstige Schauer erzeugt, wurde bereits angedeutet. René Papes Interpretation fußt hingegen auf der balsamischen Wirkung seines großen Basses und seinem erzählerischen Duktus. In «Mutter» psalmodiert er höchst wirkungsvoll auf kaum veränderter Tonhöhe, und auch der faszinierend gesungene «Seemann» fordert ihn stimmlich nicht heraus. Doch dann glaubt man, einen Wotan zu hören – so mächtig und heldisch, und dabei doch so sensibel und emotional singt er «Mein Herz brennt». Dieses Lied stellt sich dank Papes erstklassigem Zugriff als ein Höhepunkt des Zyklus’ heraus. John Carewe und die Dresdner Sinfoniker sorgen für die vorbildliche akustische Ausformung des Klangspektakels. Das vor fünf Jahren gegründete Orchester setzt sich übrigens aus Mitgliedern international führender Klangkörper zusammen und trifft sich ausschließlich zu Projekten zeitgenössischer Musik. Mit diesem Rammstein-meets-Klassik-Produkt untermauert es nachhaltig Potenzial wie Bedeutung, und der Klassik-Markt kennt nun eine neue, verblüffende Variante von Cross-over, die wegen der vertonten Seelenzustände keine leichte Unterhaltung ist. Ein Muss für Freunde üppiger Klänge.

Von M. Wilks