Welt am Sonntag

Ein klassischer Mutterkomplex

26. Oktober 2003

Begegnung der dritten Art: Star-Bass René Pape und Katharina Thalbach interpretieren Lieder nach Rammstein-Texten

Wenn Richard Wagners traurigster Held, König Marke, Rock hört, kommt er ins Staunen: „Ich lag da in meinem Sessel, habe Lied um Lied gelauscht und gedacht: Was ist denn das? Auf dem Album der Band Rammstein klangen alle Songs irgendwie gleich. Alle in einer Tonart. Alle durchaus effektvoll. Aber auch alle sehr vorhersehbar.“

Wenn König Markus Rock hört, kommt er auf merkwürdige Gedanken. Dann stellt er sich vor, wie „so ein Rock-Komponist“ wohl komponiert. „Ich glaube, die haben dann nicht nur die Musik im Sinn und den Text, sondern sehen schon die gesamte Bühnenshow vor sich: Lichteffekte, Pyrotechnik und Tanz-Tamtam.“ Die Einheit von Klang, Text und Bühne. Ist das nicht, was Richard Wagner „Gesamtkunstwerk“ nannte? Jener Wagner, der König Marke erfunden hat? Jener König Marke, der nun Rammstein-Lieder singt; der Star-Bass René Pape.

Wenn er den letzten großen Rammstein-Hit «Mutter» intoniert, klingt das immer auch ein bisschen, als würde er eine romantische Oper singen: weich und düster, mit Herzton der Überzeugung und Butter-Gestaltung.

Der Komponist Torsten Rasch umhüllt ihn dabei mit zitternden Streichern, verschlungenen Bässen, schluchzenden Geigen, düsteren Trommeln, chromatischen Endlosigkeiten und Mahlerischen Dur-Moll-Explosionen. Gespielt von den Dresdner Sinfonikern unter dem tontrunkenen John Carewe.

Plötzlich haben wir es mit einem psychoanalytisch verwobenen Mutterkomplex zu tun.

«Mein Herz brennt» heißt die CD. Ein weiterer Versuch aus dem Hause Universal, das Cross-over neu zu erfinden. Pop auf Klassik zu trimmen, ist eigentlich alt: Vorreiter war das London Symphony Orchestra, und gerade hat der britische Komponist Tolga Kashif für EMI die größten Motive von «Queen» in Bruckner-Klänge getaucht. In Torsten Raschs Rammstein-Vertonungen ist also eigentlich nichts wirklich neu. Außer vielleicht der Idee, einige Texte von Katharina Thalbach sprechen zu lassen. Sie gibt ihrer Stimme die Gestalt eines giftigen Märchen-Zwerges – „Ich will Ich will Ich will“

Und trotzdem ist dieser Wurf besser als alles, was bisher im Rock-Klassik-Cross-over versucht wurde. Auch, weil Rasch ein altes Genre neu belebt, den Liederzyklus. Eine durchaus deutsche Tradition, Schubert, Schumann, Mahler, Schönberg. Rasch kennt sie alle.

Und hier wird’s heikel.

Universal-Boss Tim Renner hat kürzlich in der «Zeit» geträumt: „Deutschland ist auf dem Weg zu einer neuen Kultur.“ Bei solchen Worten liegt ihm „die ganze Zeit Rammstein im Ohr“. Für Renner „das Signal einer provokanten nationalen Kultur. Das war deutsch, das wurde auf Deutsch gesungen, und die Welt hörte zu.“

Nun mag sich der Renner-Schützling, Christian Kellersmann, Klassik-Chef von Universal und ewiger Jung-Denker, überlegt haben: Mahler-Kopie und Rammstein-Text. So könnte die Klassik vielleicht doch noch am neuen deutschen Wesen genesen. Morgen erscheint die Platte auf dem deutschen Markt, übermorgen erobert die Europa, und dann geht sie in die USA.

Und was sagt König Pape dazu? „Alles Quatsch! Ich sehe da nichts Deutschnationales“. Für ihn sind die Rammstein-Texte „zutiefst romantisch“, könnten auch von Hofmannsthal stammen: „Es geht hier wie in jeder Kunst vom Schnulzen-Schlager bis zur Oper immer wieder um das Gleiche: Liebe, Hass und brennende Herzen.“ Und es geht um die modernen Variationen der alten Themen, etwa um die Sehnsucht von Retorten-Babys, an den Nippeln einer echten Mutterbrust zu saugen.

Im Internetforum der Plattenfirma wurde bereits vor der Veröffentlichung heftig disputiert: Rammstein-Fans haben Angst vor der Klassik-Adaption, Klassik-Snobs fürchten den Untergang des Abendlandes. Aber das Album beweist; Klassik und Rock haben durchaus Schnittmengen. In diesem Fall heißt sie: Pathos. Rammstein und Rasch wollen direkt sein – Herzenssache statt Kopfgeburt. Ganz nebenbei jonglieren sie virtuos mit Mythen der deutschen Identität. Mit bekannten Textbausteinen, bewährten und politisch besetzten Harmonien, Rhythmen und Effekten.

Man muss an so etwas vorurteilsfrei herangehen. Auf jeden Fall machen Rasch und Rammstein große Musik, die nicht größenwahnsinnig ist. Eine Neoromantik, die nicht esoterisch wird. Und für Skeptiker bleibt da René Pape – er ist auch im Rammstein-Reich immer noch König Marke.

Von Axel Brüggemann