Die Zeit

Im schwarzen Schatten

Kulturbrief 44/2003

Die Dresdner Sinfoniker nehmen sich der Texte von «Rammstein» an

Wenn Rockmusik auf Klassik trifft, kommt oft Übles heraus. Manchmal verhunzen Popsongs klassische Melodien, manchmal werden schnulzige Rocksongs orchestral instrumentiert – wie sie es auch drehen, selten ist an diesen Synthesen etwas Geschmackvolles, geschweige denn Kunstvolles. Obwohl Klassikpop-Allianzen dieser Ruf vorauseilt, realisierte Sven Helbig von den Dresdner Sinfonikern mit dem Komponist Thorsten Rasch nun ein Projekt, das eine Brücke von Rockmusik zu Klassik schlägt. Heraus kam ein Liederzyklus aus acht eigenartigen sinfonischen Stücken mit Gesang plus einer Ouvertüre. Es war ein langwieriger Prozess von Transformationen bis zum Zyklus namens „Mein Herz brennt“. Denn Urheber der Vorlage ist eine der umstrittensten und brachialsten Metalbands Deutschlands: Rammstein.

Rammstein ist die deutsche Band, die in Musikrezensionen gerne als ‚Teutonen-Rocker‘ oder auch ‚Pyro-Rocker‘ betitelt wird, letzteres wegen ihrer pyrotechnisch ausgefeilten Bühnenshows.  Vielleicht auch, weil sich die Band makabererweise nach der Stadt Ramstein benannte, in der sich am 28. August 1988 ein tragisches Flugzeugunglück ereignete. Drei italienische Flieger stießen während einer Flugakrobatik-Vorführung zusammen und stürzten brennend in die Zuschauermenge. Es gab 500 Verletzte und 74 Tote. Nach dem Unfall änderten sämtliche Akrobatikgruppen der Welt den Vorführungsmodus; Deutschland verbot dauerhaft Akrobatik-Shows dieser Art. Und sechs Jungs aus Schwerin und Ost-Berlin beschlossen fünf Jahre später, ihrer Industrial-Rock-Band einen gleichklingenden Namen zu geben und sich fortan auf der Bühne anzuzünden. Immerhin: Sie widmeten ihren Song „Rammstein“ den Opfern des Flugzeugunglücks. Eine missverständliche, bemüht provokante Symbolik. Ähnlich kalkuliert mehrdeutig sind auch Texte und Musik der Band, die seit einem Video mit Leni-Riefenstahl-Sequenzen in den USA als rechtsradikal verschrien ist. Die Attentäter von Littleton seien Rammstein-Fans gewesen, hieß es im April 1999. Eine Singleauskopplung der letzten CD wurde in den amerikanischen Medien boykottiert, zu sehr erinnere die Marschmusik von „Links, zwo, drei, vier“ an den deutschen Faschismus, lautete die Begründung von MTV. Die Rammstein-Mitglieder, allesamt Familienväter, weisen diese Vorwürfe entrüstet von sich. Rammstein spiele nur mit provokanten Themen, perversen Praktiken und metallischer, zorniger Vorschlaghammermusik. Auch die Songtexte rund um Blut, Schmerz, Tod, Sex, Perversion und Friedhofserde sind nichts für Zartbesaitete. Dahinter steckt viel Kalkül. Mit Anleihen an Leni Riefenstahl, mit Marschmusik und Feuershows setzen sie sich in Szene, medienwirksam untermalt von brachialem Sound.

Die Orchestermusiker in Dresden hatten noch nie Musik von Rammstein gehört, als Sven Helbig mit diesem Projekt an sie herantrat. Ebenso kannte der Produzent die Umsetzung durch Rammstein nicht, als er die Texte von Sänger Till Lindemann las. Und auch für Komponist Thorsten Rasch hat sich Rammstein zunächst über die Texte erschlossen. Alle Beteiligten sehen in den Themen eine durchgehende Linie zur romantischen Tradition. Das gewaltige Auftreten des „Phänomens Rammstein“, von dem Produzent wie Komponist sprechen, steht in ihrem Empfinden in direktem Verhältnis zur Romantik. „Manche Texte riefen geradezu nach einer Umwandlung – auch wenn jeder völlig unterschiedliche Assoziationen zu der sehr bildhaften Sprache hatte“, sagt Rasch. Helbig und Rasch sehen sich nun mit ihrem Werk in der Tradition Gustav Mahlers und seiner Kindertotenlieder , einer Vertonung der Gedichte von Friedrich Rückert. „Als künstlerisch denkender Mensch ist man immer um neue Formen bemüht, an neuen Kooperationen interessiert, an Metarmorphosen alter Stoffe und deren Umsetzung in einem komplett anderen Umfeld“, sagt Sven Helbig. Er habe völlig eigenständige, neue Werte schaffen wollen, auch und gerade für Menschen, die Rammstein vorher gar nicht kannten.

Komponist Thorsten Rasch macht es seinen Hörern nicht leicht. Er schöpft aus dem Vollen der Musikgeschichte, orientiert sich an Schubert wie Schönberg, experimentiert und provoziert, aber fürchtet sich nicht vor Konservatismen. Gewaltige Orchesterblöcke, die in ihrer Heftigkeit im Einklang mit den monumentalen Rammstein-Shows stehen, werden von feinsten dissonanten Streichersoli abgelöst. Schauspielerin Katharina Thalbach rezitiert die Rammstein-Texte dazu, wispert zärtlich Liebesgedichte oder kreischt böse Drohungen. Sie werde vor jedem Konzert zittern, befürchtet Thalbach, so sehr habe sie sich in das Projekt hineinbegeben und die assoziativen Texte und Melodien verinnerlicht. Es kann einem in der Tat Schauer über den Rücken treiben, wenn Bassbariton René Pape mit einem typisch rollenden Rammstein-‚R‘ pathetisch die düsteren Stimmungsbilder Till Lindemanns singt:

Die Tränen greiser Kinderschar
Ich zieh sie auf ein weißes Haar
Werf in die Luft die nasse Kette
Und wünsch mir, dass ich eine Mutter hätte

Keine Sonne die mir scheint
Keine Brust hat Milch geweint
In meiner Kehle steckt ein Schlauch
Hab keinen Nabel auf dem Bauch

Der Mutter die mich nie geboren
Hab ich heute Nacht geschworen
Ich werd ihr eine Krankheit schenken
Und sie danach im Fluss versenken

Obwohl sich Rasch allein auf das Instrumentarium des Sinfonieorchesters beschränkt, finden auch Melodien der Originale ihr Echo. Trotzdem ist Raschs Komposition als eigenständiges Werk zu betrachten. Das Projekt „Mein Herz brennt“ ist ohne Zutun und ohne Kontakt zur Rammstein-Band entstanden. Und die Vertonung wird Rammstein-Fans kaum begeistern können. Für Freunde der zeitgenössischen und etwas experimentellen Musik kann „Mein Herz brennt“ allerdings eine sehr interessante Erfahrung sein. Es ist zeitgenössische Musik, bestätigt Sänger René Pape, es sei weder Klassik noch Pop, kein Crossover, kein Rockgesang. Nach 15 Jahren als Sänger kam es ihm darauf an, sich von klassischen Opern zu lösen und um seiner persönlichen Entwicklung willen einen völlig neuen Weg zu gehen. Auch er hatte Rammstein nie vorher gehört oder die Band live gesehen. „Die Texte sind unglaublich stark und poetisch. Und trotz fast identischer Melodien sind in der neuen Instrumentation völlig andere Stücke entstanden.“

„Mein Herz brennt“ ist ein ungewöhnliches, bisweilen gewöhnungsbedürftiges Werk. Die Macher hoffen, dass ihr Projekt polarisieren und Anlass zu Kontroversen geben wird. Mit der Vorlage – die Texte von Rammstein – sollte dieses Ziel leicht zu erreichen sein. Das Werk provoziert durch seine Verbindung zur umstrittenen Rockband, die zwar Ursprung, aber am Ende auch Makel der neuen Vertonung ist. Die kalkulierte Plakativität eines Rammstein-Spektakels hätte „Mein Herz brennt“ nicht nötig, die bewegenden Texte waren allerdings grundlegend. Es bleibt abzuwarten, ob sich „Mein Herz brennt“ aus dem schwarzen Schatten Rammsteins lösen kann.

Von Carola Padtberg