Die Zeit
Dresdner Sinfoniker: Fünf Leben
29. September 2011
Wenn Markus Rindt sich etwas in den Kopf gesetzt hat, erscheint ihm wenig unmöglich. Mal postierte der Intendant seine Dresdner Sinfoniker auf Dächer und Balkone der Einkaufsmeile Prager Straße, wo sie mit dem britischen Pop-Duo Pet Shop Boys eine Hochhaussinfonie aufführten. Mal organisierte er das erste Ferndirigat der Welt, bei dem die Musiker per Satellitenübertragung von einem Dirigenten aus London durch das Stück geleitet wurden. Rindt hat ein Faible für das Außergewöhnliche und kein Problem damit, seine Kollegen heftig zu fordern. Nur in Gefahr bringen will er sie nicht. Der 44-Jährige sagte daher ein Projekt ab, das ihn in den Nahen Osten geführt hätte; so beschert er Sachsen ein Kulturereignis: Am 1. Oktober werden seine Sinfoniker mit israelischen und arabischen Musikern das Stück Cinema Jenin: A Symphony uraufführen – nicht, wie geplant, im Westjordanland, sondern in Dresden-Hellerau auf dem Tonlagen-Festival.
Cinema Jenin ist nicht nur eine Sinfonie, es ist auch die Musik zum gleichnamigen Film eines deutschen Regisseurs. Der erzählt vom Schicksal eines Palästinensers aus Jenin, der die Organe seines von israelischen Soldaten erschossenen Sohnes spendete und so fünf Kindern aus Israel das Leben rettete. Beide Männer engagierten sich danach für den Wiederaufbau des örtlichen Kinos, das während der Intifada zerstört worden war.
Die Idee, über die Kultur zum Frieden in einer Stadt beizutragen, die lange als Terrorzentrale galt, gefiel Markus Rindt. Der gebürtige Magdeburger, der 1989 in die Prager Botschaft flüchtete, um die DDR verlassen zu können, glaubt daran, dass Musik zur Versöhnung beiträgt. Vor allem, wenn die richtigen Leute beteiligt sind: Cinema Jenin wurde von dem Iraner Kayhan Kalhor komponiert. »Keiner kann die europäische Orchesterwelt so gut mit der arabischen Kultur verbinden wie er«, sagt Rindt, »die arabische Tradition mit den vielen Vierteltönen klingt für uns ja immer etwas schräg.« Der Intendant hätte die Sinfonie gern in Jenin uraufgeführt, doch nach dem Mord an einem Unterstützer des Kinos im April und nach Drohungen, dass andere Kulturschaffende das gleiche Schicksal erleiden könnten, entschied er sich dagegen. An der für 2012 geplanten Tournee durch Israel und das Westjordanland, bei der die Musiker den Dokumentarfilm live begleiten sollen, hält er dennoch fest. »Cinema Jenin ist ein Projekt, das beweist: Gewalt kann überwunden werden. Wo, wenn nicht in dieser Region, muss das gezeigt werden?« Selbst mitspielen wird er bei der Dresdner Aufführung nicht. Seit drei Jahren kümmert der Hornist sich ganz ums Management der Sinfoniker. »Es gibt Instrumente, bei denen man Patzer vertuschen kann. Beim Horn geht das nicht«, sagt Rindt. »Und bevor meine Kollegen mich nur noch dulden, habe ich lieber von selbst aufgehört.«