Frankfurter Allgemeine Zeitung

Musikalische Mauerspechte

7. April 2017

Die Dresdner Sinfoniker planen ein grenzübergreifendes Konzert zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten Der Bibel zufolge sollen die Trompeten von Jericho ganze Mauern zum Einsturz gebracht haben. Einen ähnlich durchschlagenden Erfolg malen sich die Dresdner Sinfoniker nicht aus, vielmehr wollen sie mit Musik ein hör- und sichtbares Signal gegen Abgrenzung, Fanatismus und Nationalismus setzen. „Es liegt doch auf der Hand, dass Musik Grenzen überschreiten und Brücken bauen kann“, sagt Markus Rindt, Intendant und Mitbegründer des Orchesters. Er war es auch, dem just im Januar dieses Jahres, als Donald Trump ins Weiße Haus einzog und seine Mauerpläne zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten abermals propagierte, die Idee kam, dagegen etwas zu unternehmen. Und so wird, wenn alles gut geht, am 3. Juni dieses Jahres die amerikanisch-mexikanische Grenze Ort eines gigantischen künstlerisch-kreativen Happenings sein, und zwar auf möglichst vielen der insgesamt 3 200 Kilometer.

Haupt-Akt soll ein Konzert der Dresdner Sinfoniker im Friendship-Park sein, der unmittelbar am Pazifik zwischen dem kalifornischen San Diego und dem mexikanischen Tijuana liegt. „Eine Hälfte des Orchesters wird auf mexikanischer, die andere Hälfte auf amerikanischer Seite spielen, und mittendurch läuft der Grenzzaun“, erläutert Rindt den Plan. Die Grenze, die an dieser Stelle zur Zeit noch aus einem dicht gewobenen Drahtzaun besteht, soll so für anderthalb Stunden wenigstens musikalisch mit eigenen Kompositionen, aber auch Neuinterpretationen populärer Songs etwa von Chicago, Santana und Frank Zappa überwunden werden. Derzeit ist Rindt mit etwa 30 Musikern aus beiden Ländern am Start, aber es können noch deutlich mehr werden; so sind zum Beispiel Chöre dies- und jenseits der Grenze geplant. Wie umfangreich die Aktion werden wird, hängt auch vom Budget ab, für das die Sinfoniker erstmals neue Wege beschreiten: Seit Donnerstag werben sie im Internet auf der Crowdfunding-Plattform „Kickstarter“ um Unterstützer, die mit ihren Spenden auch Zertifikate mit Namen wie „Kneifzange“ für zehn Euro bis hin zu „Bulldozer“ für 500 Euro erwerben können.

„Tear down this wall“ lautet nicht zufällig das Motto der Kampagne, denn es war der frühere Präsident Ronald Reagan, der vor genau 30 Jahren, im Juni 1987, mit diesen Worten in Berlin den sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow aufforderte, die Berliner Mauer niederzureißen. Mit seinem Protest bezieht sich das Orchester jedoch nicht nur auf das geplante Bollwerk zu Mexiko. „Wir wenden uns gegen jegliche Abschottung, ob in Europa, Australien oder Indien, das eine Mauer um Bangladesh errichten will“, sagt Rindt. An vielen Orten der Welt versuchten Regierungen gerade, zu mauern. Das könne nicht der richtige Weg sein, sagt der Musiker, der deshalb am 3. Juni viele Menschen entlang der amerikanisch-mexikanischen Grenze zum Mitmachen bewegen will. „Für einen Tag lang soll die Grenze auf der gesamten Länge bespielt werden.“ Ob Musik, Tanz und Malerei an der Mauer oder ein Volleyball-Match darüber – der Fantasie seien schon mal keine Grenzen gesetzt, nur sollten die Akteure Fotos oder Videos ihrer Aktionen unter dem Stichwort #teardownthiswall mit aller Welt teilen.

Die Dresdner Sinfoniker verknüpfen seit ihrer Gründung vor 20 Jahren immer wieder Musik mit gesellschaftspolitischen Themen. Erst im letzten Jahr verursachten sie mit ihrem Konzertprojekt „Aghet“, das den türkischen Völkermord an den Armeniern thematisiert, einen Eklat mit der Türkei, die daraufhin das EU-Kulturförderprogramm einseitig aufkündigte; auch im Westjordanland spielten sie bereits mit palästinensischen und israelischen Musikern. Das Anti-Mauer-Projekt wiederum ist Rindt auch ein ganz persönliches Anliegen: 1989 floh er als junger Musiker über die Prager Botschaft in den Westen. Der jubelnde Empfang in Hof, die herzliche Aufnahme und Hilfe seien ihm in Erinnerung geblieben. „Ich bin bis heute dankbar dafür und dass es möglich war, rauszukommen aus einem Land, in dem ich keine Chance mehr sah“, sagt er.

Auch deshalb sei ihm unverständlich, dass die Botschaften von EU-Ländern in Nordafrika geschlossen seien für Asylsuchende, denen so oft nur der gefährliche Weg über das Mittelmeer bleibe. Auch, dass es in den Vereinigten Staaten und Mexiko nur kaum wahrnehmbaren Widerstand gegen Trumps Mauerpläne gebe, verwundere ihn, sagt Rindt. „Ich sehe natürlich die Probleme, aber ich finde, sie sind besser zu lösen als mit Mauern.“

Für ihre musikalische Mauerspechtelei planen die Sinfoniker mit 15 000 Euro, mit jedem Cent mehr werde das Projekt größer, sagt Markus Rindt, vorausgesetzt, die Amerikaner genehmigten es überhaupt. Ein „Nein“ jedoch kann und will sich der 50-Jährige gar nicht vorstellen. „Wenn uns selbst das verwehrt würde, wo wäre denn dann das freie Amerika geblieben?“