Die Mauer muss weg! / „Tear down this wall!“ – Ein spektakuläres Projekt der Dresdner Sinfoniker
6. April 2017
„Mister Gorbatschow, tear down this wall!“ – wer kennt sie nicht, diese Worte von Ronald Reagan, mit denen der einstige US-Präsident 1987 gegen die Berliner Mauer wetterte? Dreißig Jahre später bekommt dieser Satz eine ganz neue Bedeutung, da Amtsnachfolger Donald Trump eine gigantische Mauer zwischen den USA und Mexiko errichten lassen will.
Dieselben Worte des mittelmäßigen Schauspielers stehen nun über einem spektakulären Projekt der Dresdner Sinfoniker: „Tear down this wall!“ Gemeint sind damit die Pläne des fragwürdigen Immobilienspekulanten, auf etwa 3.200 Kilometer Länge einen unüberwindlichen Grenzwall vom der Atlantik- bis zur Pazifikküste zu bauen. Und sich das auch noch von Mexiko bezahlen lassen will …
Die Dresdner Sinfoniker positionieren sich nun gegen diese „Einmauerung der Welt“: Am 3. Juni wollen sie mit einem Aufsehen erregenden Konzert in Mexiko gegen Trumps Vorhaben protestieren. Kann Musik die Macken der Macht aufhalten?
Dieses freie Ensemble sieht seine künstlerische Arbeit schon immer auch als Engagement gegen bestehendes Unrecht. Ob in Palästina oder Jordanien, ob beim „Aghet“-Projekt gegen den türkischen Völkermord an den Armeniern von 1915 oder ob erst jüngst mit „I EXIST – nach Rajasthan“, als es um die Wurzeln der Roma-Musik ging – die Musiker um Komponist Marc Sinan und Intendant Markus Rindt wollen ein Bewusstsein schaffen für die Gewalt, die Menschen Menschen nach wie vor antun. Mit all diesen Aktionen soll allerdings weniger anprangert denn versöhnt werden. Das ist das verbindende Ziel.
Dank einer Einladung zu Konzerten in Mexiko lag nichts näher, als dabei auch „die geplante Mauer von Donald Trump“ zum Thema zu machen, erklärt Markus Rindt dieses Projekt. „Wir als Ostdeutsche haben natürlich eine spezielle Sicht auf solche Dinge, aber es geht uns nicht allein um diesen neun Meter hohen und angeblich unüberwindbaren Wall, der die USA vom Atlantik bis zum Pazifik dichtmachen soll, sondern um die Einmauerung der Welt.“ Ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs zwischen Ost und West sei diese Tendenz an vielen Orten auch in Europa zu bemerken.
In den pazifischen Grenzorten Tijuana und, die schon jetzt von einer bis ins Meer reichenden Mauer getrennt sind, sollen am Aktionstag 3. Juni mexikanische und US-amerikanische Musiker gemeinsam mit den Sinfonikern auftreten und auf beiden Seiten gleichzeitig Konzerte geben. Markus Rindt: „Unser Ziel ist es, ganz viele Menschen entlang dieser 3.200 Kilometer langen Grenze zu inspirieren, sich diesem Projekt anzuschließen und eigene Aktionen zu machen. Jeder soll seine Stimme erheben gegen diesen schlimmen Plan.“ Die Aktivisten aus Dresden erhoffen sich für diesen Tag auch von der Bevölkerung im Grenzgebiet ganz eigene, persönliche Formen des Protestes – mit Gedichten, Liedern oder anderen Performances; wichtig sei, dass am 3. Juni ein unüberseh- und vor allem unüberhörbares Zeichen gesetzt werde.
Dafür starten die Sinfoniker just am 6. April eine weltweite Kickstarter-Kampagne, über die all diese Vorhaben finanziert werden sollen. Die Musiker erhoffen sich allerdings, dass nicht nur das Geld zusammenkommt (von circa 15.000 Euro ist die Rede), sondern dass damit die Aufmerksamkeit so vieler Menschen wie möglich geweckt werden kann. Markus Rindt und seine Mitstreiter würden es befürworten, wenn sogar eine Bewegung daraus wird. Sie haben alles Nötige dafür auf ihrer Homepage sowie per Twitter und Facebook vorbereitet. Die Spendenaktion ist übrigens mit Gegengaben verbunden, die assoziative Namen wie „Brecheisen“, „Abrissbirne“ oder „Bulldozer“ tragen.
Wie akut solch ein Konzertprojekt ist, bei dem auch mit Kinderchören auf beiden Seiten der Grenze gearbeitet werden soll, zeigt der sogenannte Freundschaftspark an der Grenzbefestigung zwischen Tijuana und San Diego. Bei diesem Namen – original „Friendship Park“, gegründet 1971 von Präsidentengattin Pat Nixon – sollte anzunehmen sein, dass Menschen sich wirklich begegnen. Ursprünglich habe es dort lediglich einen Stacheldrahtzaun gegeben, inzwischen wurden stählerne Gitter errichtet, die selbst für eine Handberührung undurchdringlich sind. Lediglich mit den Fingerkuppen können sich Mitglieder getrennter Familien betasten. Jeweils samstags sei „Besuchszeit“, eine besondere Form von politischer „Großzügigkeit“ der Vereinigten Staaten.
Dass nun ein Orchester aus Deutschland an solch einem Ort auftritt – die Mitglieder der Dresdner Sinfoniker sind überwiegend mit dem Hintergrund der deutsch-deutschen Teilung aufgewachsen –, ist ein absolutes Novum. Gemeinsam mit mexikanischen und US-Musikern soll gegen diese unmenschliche Barriere protestiert werden. Markus Rindt wünscht sich gar ein Event, das an sämtlichen Grenzorten vom Pazifik bis hin zum Atlantik reichen könnte. Dieser Protest richte sich aber ebenso gegen die Grenzen, die Ungarn errichtet hat, die zwischen der Türkei und Syrien, in Marokko und anderswo stehen: „All das verurteilen wir absolut!“
Die Dresdner Sinfoniker, deren musikalische Projekte seit Jahren mit gesellschaftspolitischen Ambitionen verbunden sind, stehen mit ihrem Vorhaben in besten Traditionen eines Roger Waters („The Wall“) sowie eines Mstislaw Rostropowitsch, der 1989 an der Berliner Mauer musiziert hat. Sie wollen darauf aufmerksam machen, wie sehr insbesondere jene Menschen leiden, die vor Krieg und Elend fliehen mussten. „Sie sind aber schon nicht mehr so präsent in den Medien, dass es die breite Masse erreicht“, konstatiert Markus Rindt. „Allwöchentlich ertrinken zahllose Menschen im Mittelmeer – die Dunkelziffer ist unbekannt –, aber Europa schottet sich immer mehr ab, hat Angst vor dem Anderen.“ Angesichts dieser Tatsachen sei es an der Zeit, diesen Satz wieder in die Welt zu rufen: „Tear down this wall!“ Musik kennt keine Grenzen.