Kategorie: Medienecho

Aghet: FAZ Artikel 2

Frankfurter Allgemeine Zeitung

EU-Kommission kommt türkischen Zensurforderungen nicht nach

26. April 2016

Der Beschreibungstext des Konzertprojektes „Aghet“ der Dresdner Sinfoniker ist trotz türkischer Proteste wieder unzensiert auf der Webseite der EU-Kommission zu lesen – allerdings mit einem Zusatz.

Die große Katastrophe bleibt nur halb aus. Der Beschreibungstext des Konzertprojektes „Aghet – Die große Katastrophe“ der Dresdner Sinfoniker ist wieder auf der Webseite der EU-Kommission unzensiert zu lesen.

In einem Schreiben vom 31. März hatte der EU-Botschafter der Türkei, Selim Yenel, verlangt, dass die Europäische Union die Förderung für die internationale Produktion einstellt. Als Reaktion darauf wurden die Informationen zum Stück zunächst von der Internetseite der EU-Kommission entfernt, wie der Intendant des Orchesters, Markus Rindt, am Samstag bekannt gab.

Das Stück „Aghet – Ağıt“ thematisiert den Genozid an den Armeniern vor hundert Jahren und hat gemeinsames Gedenken und Versöhnung zum Ziel. Deutsche, türkische und armenische Musiker und Komponisten arbeiten zusammen. Uraufgeführt wurde es am 27. November im Radialsystem V in Berlin.

Die Förderungswürdigkeit des Projekts steht außer Frage
Auch wenn die Projektbeschreibung ohne Veränderungen wieder veröffentlicht wurde, hat eine Distanzierung seitens der EU-Kommission stattgefunden: Aus einem Disclaimer unter der Projektbeschreibung geht jetzt hervor, dass die EU nicht für die hier publizierten Inhalte verantwortlich ist, sondern dass sie die Sichtweisen der Autoren widerspiegelten. Dies hatte die EU-Direktorin für Bildung und Kultur, Martine Reicherts, auch in einem Schreiben vom 12. April an den türkischen Botschafter angekündigt.

Weiter heißt es in dem Schreiben, dass die Kommission, anders als von der Türkei gefordert, nicht etwa von der Förderung des Projekts absehen werde. Die durch das Creative Europe Programm geförderten Projekte seien sorgfältig von einer Expertenkommission ausgewählt worden. Reicherts schreibt weiter, dass die Titel und die Beschreibungen der Projekte sowie deren Inhalte durch die Kunstfreiheit geschützt seien und politische Anliegen daher keine Berücksichtigung finden könnten.


Aghet: FAZ Artikel

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Türkei interveniert gegen Konzert

23. April 2016

Die Dresdner Sinfoniker widmen ihr Konzertprojekt „Aghet“ dem Genozid an den Armeniern vor hundert Jahren. Nun fordert die Türkei, die Produktion nicht weiter zu fördern – und hat bereits einen Teilsieg errungen.

Die Türkei macht auf europäischer Ebene Druck gegen das Konzertprojekt „Aghet“ der Dresdner Sinfoniker zum Genozid an den Armeniern vor hundert Jahren. Der EU-Botschafter verlange, dass die Europäische Union die Förderung für die internationale Produktion einstellt, sagte Intendant Markus Rindt am Samstag in Dresden. Das sei ein „Angriff auf die Meinungsfreiheit“. Das Projekt, das im November 2015 in Berlin Premiere hatte und auch in Istanbul gastieren soll, sieht er aber nicht in Gefahr. „Ich glaube nicht, dass unsere Agentur einknickt.“

Die zuständige Exekutivagentur für Bildung, Audiovisuelles und Kultur bei der EU-Kommission stehe weiter hinter dem Projekt, berichteten die „Dresdner Neuesten Nachrichten“. Die Agentur hat laut Rindt der türkischen Seite insofern nachgegeben, dass sie Informationen zu „Aghet“ auf ihrer Internetseite entfernte. „Das finden wir nicht gut.“ Es sei ein Warnsignal, dass die türkische Regierung selbst vor Einflussnahme auf freie Meinungsäußerung in Kunst und Kultur in Europa nicht zurückschrecke. Dabei habe sie bei der EU sogar mit Abbruch der Beitrittsverhandlungen gedroht.

„Sie wollten, dass niemand davon erfährt und dass die Begriffe Genozid und Völkermord getilgt werden“, sagte Rindt. Für die Musiker namhafter europäischer Orchester sei eine solche „Entschärfung“ inakzeptabel. „Man muss beim Namen nennen, was es war“, betonte der Orchester-Intendant. „Wir können nicht drum herumreden, dass es um Völkermord geht.“

Die Brüsseler EU-Kommission bestätigte, dass der Text von der Website entfernt wurde. Es habe Bedenken gegeben bezüglich der Wortwahl. Daher sei der Text vorübergehend entfernt worden, um mit dem Vermarkter über neue Formulierungen zu sprechen. „Eine neue Projektbeschreibung wird in den nächsten Tagen veröffentlicht werden“, versicherte eine Sprecherin. Die EU-Kommission unterstütze das Projekt mit 200.000 Euro. „Seine Umsetzung ist nie in Frage gestellt worden“, erklärte sie.

Ersten Verhaftungen armenischer Intellektueller in Istanbul waren 1915 Deportationen und Vernichtung gefolgt. Schätzungen zufolge kamen 800.000 bis 1,5 Millionen Angehörige der christlichen Minderheit im Osmanischen Reich ums Leben. Die Türkei als dessen Nachfolger sieht im Begriff Völkermord eine ungerechtfertigte Anschuldigung.

Die Idee zu „Aghet“ stammt vom deutsch-türkischen Gitarristen Marc Sinan. Nach zwei Aufführungen in Dresden Ende April soll das Konzert, für das sich die Sinfoniker mit Kollegen aus der Türkei, Armenien und Mitgliedern des No Borders Orchestra aus dem früheren Jugoslawien verstärkten, in Istanbul, Belgrad und Jerewan gastieren.

Die Intervention zeige, wie wichtig gerade das Gastspiel in Istanbul für die gemeinsame Vergangenheitsbewältigung sei, sagte Rindt. Für die Sinfoniker ist der Widerstand vom Bosporus nichts Neues. Auch 2014 habe „die Benennung des Genozids genügt, um die türkische Regierung auf den Plan zu rufen“, erinnerte Rindt. Deren Kulturministerium und die aserbaidschanische Botschaft zogen damals ihre Unterstützung für ein Projekt kurz vor der Premiere zurück. Nun sehen sich die Sinfoniker in einer Reihe mit dem Satiriker Jan Böhmermann. Dabei geht es ihnen Rindt zufolge nicht um Provokation, sondern Versöhnung. „Schade, dass sie das nicht verstehen.“


Aghet: ADK Artikel

ADK

AGHET – Die große Katastrophe

Schon die Ankündigung „Ein Konzertprojekt der Dresdner Sinfoniker besetzt mit armenischen, türkischen und europäischen Musikern in Gedenken an den Genozid an den Armeniern“ ließ aufhorchen. Der Anlass: Der Genozid an den Armenien. Das Ziel: ein gültiges Zeichen der Versöhnung setzen. Konkret hieß das: Die türkische, in Berlin lebende Komponistin Zeynep Gedizlioğlu, der Armenier Vache Sharafian und der Deutsche Helmut Oehring konnten für das Projekt gewonnen werden. Internationaler wurde das Projekt durch die Kooperation mit dem No Borders Orchestra mit Musikern aus allen ex-jugoslawischen Staaten, die zusammen mit Deutschen, Armeniern und Türken musizierten.

Auch der Gitarrist und Komponist Marc Sinan Aghet gehörte zum Team. Den ADK- Lesern ist er durch Ludolf Bauckes Rezension von „Hasretim“ bekannt („Zurück zu den Wurzeln – DVD und CD mit Marc Sinans ‚Hasretim‘ “, ADK 162, Jg. 2014/ Heft 1). Marc Sinan hat sowohl „Hasretim“ („Meine Sehnsucht“) als auch „Dede Korkut“ mit den Dresdner Sinfonikern realisiert, „AGHET“ ist das dritte gemeinsame Projekt.
Der geschichtliche Hintergrund von „Aghet“ ist auf ganz besondere Art und Weise mit der Herkunft des Solo-Gitarristen Marc Sinan verwoben: Er besitzt sowohl armenische als auch türkische und deutsche Wurzeln. Seine armenische Großmutter verlor ihre Eltern in Folge der Deportationen nach dem 24. April 1915. Als Waisenkind wuchs sie bei streng gläubigen Muslimen am Schwarzen Meer auf.

Der Zugang der jungen, vielfach ausgezeichneten Komponistin Zeynep Gedizlioğlu zum Thema ist anders. Die Ermordung des armenischen Journalisten Hrant Dink vor dem Redaktionsgebäude seiner Zeitung Agos am 19. Januar 2007 von einem türkischen Nationalisten, die Parole „Wir alle sind Hrant Dink. Wir alle sind Armenier“, die Abertausende bei seiner Beerdigung skandierten, haben sie zum Streichquartett Susma (Schweige nicht!) inspiriert, es ist auch Hrant Dink gewidmet Auch zu 1915 hat Gedizlioğlu sich Gedanken gemacht, hier nachzuhören. Ihr „Notes from the Silent One“ für Streichorchester ist eine Uraufführung und ein Auftragswerk der Dresdner Sinfoniker. „Eine musikalische Reflexion über ungesagte Dinge“, merkt Financial Times an.

Zu Vache Sharafyans „Surgite Gloriae“ (deutsche Erstaufführung) für Viola, Duduk, Horn, Bariton, Knabensopran und Streichorchester schreibt die Financial Times: „Eine Art sakrales Lamento, das viel der Hochromantik und der armenischen liturgischen Musik verdankt.“

Helmut Oehrings „Massaker, hört Ihr Massaker“ (Auftragswerk der Dresdner Sinfoniker und eine Uraufführung), Melodram für Solo-Gitarre/Stimme, 12-stimmigen Frauenchor und Streichorchester, Marc Sinan, Gitarre, Dresdner Kammerchor und AuditivVokal, hat als einziges Stück Textbausteine, darunter Zitate von Politikern zu 1915 (Recep Tayyip Erdoğan, Cemil Çiçek, Cem Özdemir), aber auch zu den Gezi-Demonstrationen vom Frühjahr 2013 (daher den „Çapulcus“, dem „Gesindel“ vom Gezi Park, gewidmet), ein Textbaustein von Marc Sinan über seine islamisierte armenische Großmutter Vahide, gefolgt von der Sure „Ya-Sin“, die man auch für die Toten liest, sowie Helmut Oehrings Poem „du mensch verloren du so“. Pikant: Oehrings Stück klingt mit der Einspielung eines O-Ton-Zitats von Recep Tayyip Erdoğan aus, in dem dieser den Genozid leugnet.

Auch der armenische Dichter Rupen Sevak (bürgerlich Tschilingirian), einer der Opfer von 1915, hat breiten Eingang in das Textbuch von Helmut Oehrings Stück gefunden. Die Librettistin Stefanie Wördemann war auf Rupen Sevak durch unseren Artikel „Liebe in den Zeiten des Genozids – Der Dichter Rupen Sevag & Helene Apell“1, ADK 139, Jg. 2008/ Heft 1, gestoßen. Das Walter Oehrings Part vorangestellte Motto „Massaker, hört ihr MASSAKER!“ und Ruben Sevag betreffende Passagen stammen daraus. Auch konnten wir das Gedicht „Das letzte Wiegenlied“ ihr in der französischen Fassung zukommen lassen und den Kontakt zu Sevags Cousin und Nachlassverwalter Hovhannes Tschilingirian herstellen.

Die Uraufführung fand am 27. November 2015 im renommierten Kultur- und Veranstaltungszentrum RADIALSYSTEM V in Berlin statt und wurde einen Tag danach wiederholt. Weitere Aufführungen sollen am 30. April 2016 im Festspielhaus Hellerau Dresden, danach in Kooperation mit dem No Borders Orchestra in Belgrad, in der armenischen Hauptstadt Jerewan und in Istanbul folgen.

Besonders bemerkenswert ist, dass Deutschlandradio Kultur die Uraufführung mitgeschnitten und am 2. Dezember ausgestrahlt hat. Andrea Molino bescheinigte Financial Times ein „emphatisches Dirigat“, das Orchester habe feinfühlig gespielt und Marc Sinan mache eine gute Figur.

Nach Juliane Busses & Karsten Dehnings Projekt „Das Weinen bleibt in der Luft“ nach 12 Gedichten armenischer Lyriker (ADK 166, Jg. 2015/ Heft 1, S. 31) ist „AGHET – Die große Katastrophe“ das zweite Musikprojekt hierzulande, das aus Anlass von 1915 entstanden ist.


Aghet: Neues Deutschland Artikel

Neues Deutschland

Trommelfeuer des Protests

Uraufgeführt im Berliner Radialsystem V: Helmut Oehrings »Massaker, hört ihr MASSAKER!« – Von Stefan Amzoll

Im Gang des Foyers blickte einem auf gereihten Fotos das ganze Elend dieser Welt an. Frank Schultze und Christoph Püschner haben diese Bilder in Armuts-, Kriegs- und Fluchtregionen gemacht. Die Gesichter, die Zerstörungen gehen ins Mark, der Betrachter kann – anders als im Fernsehen – länger als zehn Sekunden davor innehalten. Nicht alle Augen der Besucher waren offen dafür. Die Fotos wiesen auf das Kommende.

In Rede steht ein Projekt der Dresdner Sinfoniker zur Geschichte und Kultur Anatoliens und der Kaukasusregion, das jetzt in Berlin mit dem dritten Teil endete. Dem wohl erregendsten. Unter dem Doppeltitel »aghet – ağit« – die Wörter stehen für Katastrophe und Klage – thematisiert er den Völkermord an den Armeniern vor hundert Jahren und dessen aktuelle Reflexion. Noch bis in die Zeit des in der Türkei hoch verehrten Atatürk zog er sich hin, was die Offizialität des Landes ebenso hartnäckig verschweigt wie das Massaker 1915 selbst, das größte Verbrechen an Zivilisten während des Ersten Weltkriegs.

Drei Werke kamen im Saal des von Markus Rindt engagiert geleiteten Radialsystems V, einem nahe dem Berliner Ostbahnhof gelegenen einstigen Abwasserpumpwerk, zur Aufführung (Korrektur: Markus Rindt ist der Intendant der Dresdner Sinfoniker, das RADIALSYSTEM V wird von Jochen Sandig und Volkert Uhde geleitet). Zunächst in Aktion die Streicher der Dresdner Sinfoniker und des No Borders Orchestra mit Musikerinnen und Musikern aus Armenien, Serbien, Bosnien der Türkei und Deutschland. Unter Dirigent Andrea Molino, einem Musiker von starker körperlicher Ausstrahlung, erklangen die »Notes from the Silent One« der aus Izmir (Türkei) stammenden Komponistin Zeynep Gedizlioğlu. So schön und traurig-freundlich das Antlitz dieser 1977 geborenen Künstlerin, so ausdrucksvoll ihr fünfzehnminütiges bogenförmiges Streicherstück. Wie zärtliche Winde geht über weite Flächen eine Empfindsamkeit, die erst spät in Spuren von Turbulenzen und Tragödien mündet, um hernach zu den Ausgangspunkten der Ruhe, der Hoffnung, der Friedfertigkeit zurückzukehren. Ein moderne Techniken der Streicherbehandlung sinnvoll einbeziehendes Werk.

Anders das folkloristische, religiöse, barocke Topoi integrierende »Surgite Gloriae« mit Duduk, Hornsolo, Glockenspiel, Sprech- und Singstimmen des Armeniers Vache Sharafyan. Merkwürdig dies Gebilde, es erhielt viel Beifall.

Dann singt, röhrt, schlägt es, schneidet ein, zeigt unverhüllt, entblößt, mahnt – leises Singen im Tumult –, stemmt sich gegen die ungesühnte Schandtat. Musik aus den Fugen und voller Leidempfinden. In Helmut Oehrings Massaker, hört ihr MASSAKER! für Sologitarre und -stimme, zwölfstimmigen Frauenchor und Streichorchester haust der Schlagabtausch. Die Streicher begehren rhythmisch auf, statt die Saiten zu liebkosen. E-Gitarre und Stimme des Marc Sinan sind tragende Säulen der Komposition, zu der Stefanie Wördemann zusammen mit Oehring eindringliche Dokumente ausgesucht hat, so verachtenswerte wie widerständige: Dichtung des Armeniers Rupen Sevag, Alltagssprache verarbeitende Poesien des Komponisten, Rufe des von Erdoğans Vasallen so bezeichneten »Gesindels« vom Gezi Park, wo Tausende wider das türkische Verbrecherregime protestierten. »Das ist erst der Anfang. Der Widerstand geht weiter«, schreit es in der Mitte.

Direkt ausgestellt die verbalen Manöver der Leugnung des Völkermords, in dem die heutigen Morde und kriegerischen Attitüden ihren Ausgangsort haben. Die Damen des Dresdner Kammerchores und des Ensembles AuditivVokal gaben ihr Bestes, diesem Trommelfeuer des Protests standzuhalten. Eine ganz starke Aufführung, die zu wiederholen zur Pflicht werden müsste.


Aghet: Kultur Extra Artikel

Kultur extra

Massaker, hört ihr MASSAKER!

Zwischen Orient und Abendland liegt Armenien, es bildet mit dem Berg Ararat, auf dem einst Noahs Arche landete, gewissermaßen den geographischen Mittelpunkt im Radius unserer archaisch-biblischen Welten, unseres Herkommens… Kaum verwundert es, dass auch die älteste Christengemeinde der Geschichte immer wieder, fast wie Jerusalem, zum Brennpunkt furchtbarer Ereignisse wurde, denn die monotheistischen Religionen tragen mit dem Ersten Gebot das Unheil von Anfang an in sich und: in die Welt.

„…ich bin die wunde Stelle zwischen Orient und Abendland.“

So lautet eine Zeile des armenischen Dichters Agapi Mkrtchian, und es bildet das Motto eines außerordentlich bemerkenswerten und verdienstvollen Konzertprojektes:

„Anlässlich des hundertsten Jahrestages des Völkermordes an den Armeniern initiieren die Dresdner Sinfoniker gemeinsam mit dem Gitarristen Marc Sinan das Konzertprojekt Aghet. Gewidmet ist es Sinans Großmutter Vahide, einer Überlebenden des Genozids, bei dem 1,5 Millionen Menschen den Tod fanden. Aghet ist für die Armenier zum Synonym für das Verbrechen geworden, für das bis heute ein gemeinsames Narrativ und ein eindeutiger Ausdruck fehlt. Die Dresdner Sinfoniker wollen mit ihrem abendfüllenden Konzertprojekt ein Zeichen der Versöhnung setzen.“ (Quelle: radialsystem.de)

AGHET stellt so, nach Hasretim und Dede Korkut, den dritten und letzten Teil einer Trilogie dar, in der sich die Dresdner Sinfoniker (mit türkischen, armenischen und serbischen Gästen) sowie dem Initiator und Gitarristen Marc Sinan der Geschichte und Kultur Zentralasiens, der Kaukasusregion und Vorstellungen von Herkunft und Identität stellten. Dieses Kulturprojekt triumphiert somit über Hitlers unerträgliche Frage von 1939 „Wer redet denn heute noch von der Vernichtung der Armenier?“ mit einem vitalen Wir! und tritt ihr mit einem vehementen Erinnerungswillen entgegen, der die Zukunft meint.

Zunächst fand die Uraufführung eines Werkes für Streicher der jungen Türkin Zeynep Gedizlioğlu statt, das sie für dieses Projekt komponiert hatte und dem sie trendgemäß aus mir unerfindlichen Gründen einen englischen Titel gab: Notes from the Silent One. Die Interpretation durch das Ensemble unter dem italienischen Dirigenten Andrea Molino war exzellent, diente der schönen Partitur in jedem Aspekt und ließ an Transparenz und Expressivität nichts zu wünschen übrig. Wie sie in ihren Anmerkungen schrieb, wollte Gedizlioğlu mit ihrem diffizilen und durchgearbeiteten Satz versuchen, aus der Perspektive der Opfer vor allem „Gefühle“ zu gestalten und die immer wieder versiegende Klage (was an die Tristan-Hommage von Rihm erinnerte). Freundlicher Applaus für die glückliche Meisterin! Wenn diese Uraufführung mühelos auch hätte der Mitte des vergangenen Jahrhunderts zugeordnet werden können, aber doch avantgardistischer als die Metamorphosen von Strauss oder die Trauermusik für Bratsche von Hindemith, so schien das folgende Werk beinahe einer noch früheren Phase entstiegen zu sein:

Das Viola-Konzert von 2006, Surgite Gloria, des sympathischen Komponisten Vache Sharafyan aus Jerewan erklang in deutscher Erstaufführung. Einen großen Reiz bot es schon allein dank seiner außergewöhnlichen Besetzung: die Viola (Matthias Worm) wird gekontert von dem armenischen Nationalinstrument, der oboenartigen Duduk (Araik Bartikian), begleitet vom Streichorchester mit Horn, Glocken und den im Endeffekt eigentlich drei Vokalparts, die zwei Sänger darbieten: Carl Thiemt (Bariton und Countertenor) sowie Friedrich Ilgner (Knabensopran). Beide makellos, souverän und höchst engagiert im Wechsel von Stimmlagen, Gesang und Sprechpassagen. Ihre Texte standen nicht in der alt-armenischen Sprache, obwohl sie geistlichen Werken des Mittelalters entstammten, die in ihr geschrieben sind, sondern in Latein. Das Herzstück des Werkes bilden natürlich die Soli und der Wechsel der Melodik von Viola zum spektakulär wirkenden Einsatz der Duduk, deren Bläserklang den des Streichinstrumentes wunderbar beantwortet, um dann vom Horn scheinbar weitergeführt zu werden und hier in der Tat eine Einheit einander völlig fremder Instrumente und Musiziertraditionen darbot, allerdings völlig amalgamisiert im Strom einer eher westlichen Orchesterromantik. So stand dieses Stück in der Tradition von typischen Dekors nahöstlicher Exotik. Mir scheint auch ein Konzept der Harmonie, das Unterschiede vereinend auflöst und (hier übertönend in westeuropäischen Ideen) wenig visionär. Die gemeinsame Geschichte unserer Philosophie eröffnete bereits mit Heraklit die Erkenntnis, dass die widerstrebenden Teile in der Ganzheit des Seins eine Einheit sind. Auch das gäbe ein musikalisches Konstruktionsmodell vor und würde mit Elementen alt-armenischer Musikkultur wie westeuropäischer Moderne ein interessantes Spiel auf einer neuen, dritten Ebene anregen.

Auf diese beiden fast nostalgisch anmutenden Werke einer spätromantisch bis gemäßigten Moderne folgte nach der Pause die Uraufführung der neuesten Kreation von Helmut Oehring: Massaker, hört ihr MASSAKER! für Gitarre, 12-stimmigen Frauenchor und Streichorchester, dessen Titel bereits unmissverständlich zum Ausdruck brachte, um was es hier in Wahrheit geht. Was sich dann ereignete, war ein grandioses Fanal, mit allen Mitteln geschleudert aus der Region der Kunst gegen die Unerträglichkeit und Nicht-Hinnehmbarkeit einer nicht enden wollenden Realität voller Kriege und Inhumanität. Dieses Stück ist ein Musik gewordenes Credo der Intoleranz gegenüber dem Unrecht! Schon die ersten Momente rissen alle Aufmerksamkeit an sich: Von der ersten Sekunde an bannte dieses Werk mit seiner nie nachlassenden Intensität, Phantasie und Schärfe!

„Die Partitur soll ein Kraftfeld darstellen, in dem erlittene Verletzungen und Vernichtung umgewandelt werden in eine neue Energie, eine Art seelisches Proviant für die Kommenden.“

So [s.o.] beschreibt der Brandenburger Helmut Oehring seinen Ansatz. Und genau das ist ihm auf überwältigende Weise gelungen! (Als Kind taubstummer Eltern, der die Sprache der Hörenden als fremd und feindlich erlebte, hat Helmut Oehring am eigenen Leib erfahren, wie schmerzhaft das Scheitern jeglicher Verständigung sein kann.) Seine Komposition hat er dem „Gesindel“ (çapulcular) vom Gezi Park gewidmet, eine unmissverständliche Adresse „(an: Racep Tayyip Erdogan)“. Stefanie Wördemann montierte verschiedene Texte mit einem Gedicht des Armeniers Rupen Sevag, Versen der Ya-Sin-(Trauer-)Sure und einem Poem von Oehring. Marc Sinan trägt Erinnerungen an seine Großmutter Vahide vor, Originalzitate werden eingespielt (Erdoğan: „So etwas wie ein Genozid liegt unserer Gesellschaft fern. Wir werden einen solchen Vorwurf niemals akzeptieren!“). Gleich zu Anfang deklamiert der Frauenchor in rasender Schnelle einen Auszug aus dem aktuellen Entwurf zum Entschließungsantrag des Deutschen Bundestages zum 100. Jahrestag des Völkermords, was dem Ganzen eine absurde Ätzung gibt und schier die bürokratische Maske abreißt, das ist einfach große politische Kunst:

„Das ist erst der Anfang. Der Widerstand geht weiter.“ (Çapulcular, Gezi Park Istanbul, 31.Mai 2013)

Die kontrastierende Verwebung der diversen Ebenen und heterogener Ausdrucksformen: vom Instrumentalspiel zu schreiendem Deklamieren der Musiker mit dem Dirigenten (!), Geräuschproduktion des Frauenchores, choreografierten Gebärden, Toneinspielungen, Elektronik, Trampeln abwechselnder Gruppen des Orchesters und des Chores, tief berührende Sprechpassagen Marc Sinans – zu einem nicht nur emotional, sondern politisch klaren Komplex, ganz auf der Höhe der Zeit, das zwang zu innerer Mitarbeit, der kein Ausweg ins Geschmäcklerische gelassen wird! Der Ablauf ist dramatisch und immer klar, gerade auch in seinen Schichtungen. – Den von Olaf Katzer einstudierten 12 Sängerinnen des Dresdner Kammerchores und AuditivVokal gebührt aller Respekt für ihren überzeugenden Einsatz, wie auch allen Musikern unter der glänzenden und nicht minder faszinierenden Leitung des Dirigenten Andrea Molino! In einigen Abschnitten der mit-, gegen- und übereinander kontrapunktierenden Gruppierungen, Elemente und Vorgänge, musste ich plötzlich an die H-moll-Messe von Bach denken und hatte den Eindruck, etwas entsprechend Übergreifendem beizuwohnen. Atemberaubend, mit welcher Konsequenz und Knappheit in allen Teilen Oehring und sein Mitarbeiter Torsten Ottersberg die Abläufe organisierten! Eine Wut, eine Unerbittlichkeit und Fülle, die Oehring da entfesselt, ohne Zärtlichkeit und Klage auszusparen, um, ganz auf der Höhe unserer Tage, die alles andere als Gutes verheißen, in der Tat neue Kraftfelder zu öffnen – und diese werden wir auch noch bitter brauchen!

Dieser Blick in die Geschichte des armenischen Volkes sollte, wie die Dresdner Symphoniker es sagen, nicht nur türkische, armenische, serbische und andere europäische Musiker zusammenbringen, sondern auch Vorbildwirkung haben bei weiteren Aufführungen des AGHET-Programms in Dresden, Belgrad und Istanbul im kommenden Jahr. Musikalischer Kooperationspartner wird hierbei das sein, dass Künstler aus allen Staaten des ehemaligen Jugoslawiens ungeachtet ihrer Herkunft vereint und bereits ein Netzwerk in allen Ländern dieser Region etabliert hat über alle Grenzen, politischen und ethnischen Grenzen hinweg… Hoffen und wünschen wir, dass ganz besonders die Aufführung in Istanbul zustande kommt und ungestört ablaufen kann, ohne dass es zu Übergriffen auf die Künstler kommt. Vor allem aber wünschen wir der Intention Erfolg!


Aghet: Financial Times Artikel

Financial Times

Aghet – Ağıt, Radialsystem V, Berlin – ‚A howl of protest‘

Helmut Oehring’s Massaker, hört ihr MASSAKER!, given its world premiere in Berlin last Friday, is dedicated to the protesters of Gezi Park in Istanbul, as defamed by Turkish president Recep Tayyip Erdoğan in a 2013 speech. The piece is about the Armenian genocide, which Erdoğan denies.

Like its title, Oehring’s piece is a howl of protest against an atrocity that is often regarded as the first genocide of the 20th century. In fact, the Ottoman Empire’s cold-blooded slaughter of its own Armenian minority 100 years ago was preceded by Germany’s smaller-scale but no less horrific Herero and Namaqua genocide in Namibia, an act that could also use some reflection and atonement. But that was not the point of last Friday’s concert in Berlin’s Radialsystem V.

Bringing together musicians for the project, an initiative of guitarist Marc Sinan, was not easy, with many potential Turkish participants fearing repercussions at home. Dresden performers have their own worries, with up to 15,000 protesters gathering every Monday in the square by the Semperoper to bay for the blood of refugees and of Angela Merkel. The ability to ignore history’s lessons is ubiquitous. That makes initiatives like this all the more important.

As befits a meeting of such diverse cultures, the three pieces presented are radically different. Turkish composer Zeynep Gedizlioğlu’s Notes from the Silent One, also receiving its world premiere on Friday, is a whispered breath of painful fragility for string orchestra. It is a musical reflection on things left unsaid, and, by implication, on the unspeakable, infused with the kind of uncomfortable delicacy that makes you lean forward and take note.

Armenian composer Vache Sharafyan’s Surgite Gloriae, a concerto for viola, duduk, baritone, boy soprano, horn, bells and string orchestra, is a more outspoken work in every sense. A form of sacred lament, told in language which owes much to both high romanticism and Armenian liturgical music, it is narrative in nature, with the violist playing a cantor-like role and the haunting sounds of the duduk forming an emotional core.

Oehring draws on a more diverse and dissonant vocabulary for Massaker, hört ihr MASSAKER!, with a 12-voice women’s chorus who double as percussionists and a string orchestra which also speaks. Declaiming texts about his Armenian grandmother while playing complex guitar riffs, Marc Sinan makes an impressive figure at the work’s centre.

Emphatic conducting from Andrea Molino and sensitive orchestral playing ensured an evening of scrupulous music-making. The performers, with admirable courage, will take the programme on to Dresden, Istanbul, Belgrade and Yerevan.