Kategorie: Medienecho

Neue Meister: DNN

Dresdner Neueste Nachrichten

Zwei Orchester blühen auf

17. Juni 2019

Musaik-Kinderorchester und die Dresdner Sinfoniker spielen gemeinsame Uraufführung

(…) Nach vielen Auftritten im Viertel haben sich die Prohliser nun mit den Dresdner Sinfonikern zusammengetan, um ein ambitioniertes Projekt auf die Beine zu stellen: eine gemeinsame Uraufführung aus der Feder des Komponisten und Jazzpianisten Andreas Gundlach! Tatsächlich ging das Ganze am Sonnabend höchst erfolgreich über die Bühne, und die war immerhin keine geringere als der große Saal im Festspielhaus Hellerau, wo sonst auch mal die Staatskapelle oder das MDR-Orchester spielt. (…) Schon seit März hat das Kinderorchester Musaik geprobt, der Komponist und Jazzpianist Andreas Gundlach kam vorbei und hörte sich an, was man alles im neuen Stück ausprobieren kann. In der wahrlich auch vom Wetter her heißen Endprobenphase wurde in der Kirche in Prohlis in der letzten Woche alles zusammengesetzt: „Fioritura“ heißt das neue Werk, ein Stück über die Blüte eines Blümeleins, das mit seinem Duft die ganze Welt verwandelt, nachdem es dramatische Stunden im Krankenwagen zu überstehen hat. Für das trötende Martinshorn und das musikalische Aufblühen der Blume sorgt natürlich das Musaik-Orchester und Gundlach gelang so etwas wie ein klingendes Kinderbuch, bei dem alle mitmachen konnten, selbst die, die erst vor einem halben Jahr überhaupt mit einem Instrument angefangen hatten.

Die Musiklehrer und Musaik-Initiatoren mischten sich ins Orchester, und wenn die Noten zu kompliziert waren, gab Musiklehrerin Luise Börner zusätzlich zum Dirigenten Premil Petrovic noch einen armschwingenden Einsatz, den keiner übersehen konnte, während Deborah Oehler die Cellogruppe zum bassigen Fundament anspornte. Absichtsvolle „Störungen“ gab es von der Bläserklasse, die (welch Luxus!) mit eigenem Dirigenten für satte Sounds von sechs Querflöten, Tuba, Euphonium, Trompeten und Saxophonen sorgte. Die Sinfoniker selbst fügten harmonische Umspielungen und groovigen Background hinzu. Was da in der Hauptmelodie mit fünf Tönen ganz einfach und leicht klang, war im Gesamtklang dann richtig farbensprühend.

Gundlach selbst zog sich in der Aufführung an die Triangel zurück und konnte sich aber akustisch kaum mehr gegen die Musaik-Kinder durchsetzen, die auch mit gekonntem Luftballon-Schnirpsen manch angestrengte Neue-Musik-Auswüchse alt aussehen ließen. Dafür gab es einen Riesenapplaus des Publikums, bevor der Abend im Kulturgarten hinter dem Festspielhaus erleichtert über das Geschaffte und in jedem Fall beglückt ausklang.


Hochhaussinfonie: LR

Lausitzer Rundschau

Multimedia-Spektakel aus Film, Licht und Musik

22. Juli 2008

Das hat es so noch nie gegeben! Und es war zweifelsohne eine gewaltige Herausforderung: Die «Hochhaussinfonie» auf der Prager Straße in Dresden am späten Donnerstagabend zählt zu den besonderen Höhepunkten der Stadtfestwoche zum 800-jährigen Bestehen der Elbestadt.

Keine Bühne, kein Orchestergraben und keine engen Stuhlreihen – als Konzertort hatten sich die Veranstalter den 37 Meter hohen und mit 240 Metern längsten bewohnten Plattenbau Europas ausgesucht. Die Musiker, die Dresdner Sinfoniker, verteilten sich auf 43 beleuchtete Balkone und das britische Pop-Duo Pet Shop Boys thronte über der Leinwand, auf der Eisensteins «Panzerkreuzer Potemkin» flimmerte. Und als wäre das alles noch nicht genug, schwebte der US-amerikanische Dirigent Jonathan Stockhammer in einem Kran-Korb meterhoch über der einstigen DDR-Vorzeige-Flaniermeile und gab von dort aus den Takt für die Musiker an. Mehr als 10 000 Menschen standen davor und sahen dem ungewöhnlichen Spektakel zu.

Bevor jedoch Eisensteins Stummfilmklassiker «Panzerkreuzer Potemkin» auf der zwischen den Balkonen angebrachten Leinwand anlief, wurden Original-Sequenzen und Fotos auf die Fassade des teilweise noch bewohnten Blocks projiziert, die sich mit der Geschichte der DDR und dem Platz zwischen Dresdner Hauptbahnhof und Altmarkt auseinander setzten. Denn der Ort für das multimediale Spektakel aus Film, Licht und Musik wurde sorgfältig ausgewählt. Durch seine wechselvolle Geschichte und seine Rolle als Brennpunkt während der politischen Wende 1989 ist die Prager Straße ein wahrhaft historischer Ort, der die Wirkung von Eisensteins Film noch verstärkt.

Bilder aus Überwachungskameras und aus den Archiven Dresdner Bürger reflektierten die Geschehnisse auf eindrucksvolle Weise und zeigen: Hier ist die Geschichte nicht erloschen, sondern sehr lebendig. Nicht zuletzt durch die Menschen, die 1989 dabei waren und die auch heute noch zum Teil auf der Prager Straße wohnen. Die Musik zur «Hochhaussinfonie» schufen Neil Tennant und Chris Lowe gemeinsam mit den Dresdner Sinfonikern bereits im Jahr 2004. Sie ist eine Mischung aus den elektronischen, pop-orientierten Klängen, mit denen es den «Pet Shop Boys» gelang, sich weltweit einen guten Namen zu machen und mehr als 30 Millionen Platten zu verkaufen, sowie der Tiefe und Fülle eines klassischen, aber dennoch modernen Klangkörpers.

So entstand nach Edmund Meisel und Dmitri Schostakowitsch jetzt die dritte offizielle Vertonung des Films, die im September 2004 vor 35 000 Zuschauern auf dem Londoner Trafalgar Square uraufgeführt wurde.

Andreas Weihs


Hochhaussinfonie: Zeit

Die Zeit

Pop-Pathos: Die Hochhaussinfonie der Pet Shop Boys

21. Juli 2008

«Revolution ist Krieg.» Der erste Satz eines Lenin-Zitates flimmerte am Donnerstagabend über die riesige Leinwand in der Dresdner Innenstadt. Es war der Auftakt zur gemeinsamen Vertonung von Sergej Eisensteins Film «Panzerkreuzer Potemkin» der Pet Shop Boys und der Dresdner Sinfoniker. Die Melange aus Film und Musik wurde dabei an einem ungewöhnlichen Ort aufgeführt. Schauplatz war ein 240 Meter langer DDR-Wohnblock auf der Prager Straße. Die Veranstalter sprachen von Deutschlands längstem Wohnhaus – und der weltweit ersten «Hochhaussinfonie».

Die grundlegende Idee hatte Sinfoniker-Mitgründer Sven Helbig dabei schon im Vorfeld preisgegeben. Ein Orchester sollte entgegen der herkömmlichen Sitzanordnung einmal in der Vertikalen spielen. So kam es, dass die Sinfoniker auf 42 Balkonen links und rechts der Filmleinwand Platz nahmen. Der klare Klang, der daraufhin die Nacht erfüllte, ließ alle Zweifler schweigen. Die Streicher und das Keyboard von Pet Shop Boy Chris Lowe gingen eine Liaison ein, die jede der hoch gesteckten Erwartungen erfüllte.
Das britische Duo untermalte zahlreiche Szenen des Stummfilms aus dem Jahr 1925 mit pathetisch anmutenden Pop-Klängen. Das wiederum schien dem Film, den Fachleute zum besten aller Zeiten kürten, angemessen. Wenn Eisenstein Nahaufnahmen Gesichter der meuternden Matrosen oder der wehrlosen Bürger Odessas zeigt, spiegelt sich dort die selbe Überhöhung wider. Der Expressionismus traf in diesen Momenten die Postmoderne. Überraschenderweise ergänzten sie sich gut.

Ähnlich gut aufeinander abgestimmt waren auch Aufführungsort und Vorfilm. Rasch wechselnde Bilder zeigten Aufstieg und Fall der DDR, widmeten sich besonders 1989 auch der Bedeutung der Prager Straße für die damaligen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Staatsmacht. Im Oktober jenes Jahres wurde auf dieser Straße der Hebel umgelegt zu einer friedlichen Revolution, als sich mitten aus den Protestierenden die «Gruppe der 20» bildete, die fortan mit Politikern und Uniformierten verhandelte.

Diese Parallele führte direkt zu Eisenstein. Schließlich endet «Panzerkreuzer Potemkin» nicht in der möglichen Schlacht mit der zaristischen Flotte. Die Matrosen der Schiffe, die die Meuterer angreifen sollen, verbrüdern sich vielmehr mit ihnen. Neil Tennants Zeilen wie «This is no time for tears» oder «Heaven is possible after all» mögen manchem platt vorkommen. In diesem Kontext funktionieren sie jedoch blendend. Und bei der berühmten Szene, in der ein Kinderwagen die Odessaer Hafentreppe hinunterrollt, hinter sich die schießenden Kosaken, könnten Worte kaum treffender formuliert sein als Tennants «How come we went to war». Assoziationen ins Heute nicht ausgeschlossen. Das Publikum war jedenfalls begeistert, die rund 10 000 Gäste applaudierten lange. Kurz zuvor hatte sich der Wohnblock dank einer Lichtinstallation selbst in ein riesiges Schlachtschiff verwandelt. Und als Tennant Dresden zum 800. Stadtgeburtstag gratulierte, war aller Pathos verflogen.


Hochhaussinfonie: DNN

Dresdner Neueste Nachrichten

Es knistert

21. Juli 2008

Ok, stellen Sie sich mal vor, es ist 1988, Sie sitzen in Pantoffeln in ihrer Neubauwohnung, warten auf die Wende und lesen folgende Schlagzeile: US-Amerikaner dirigiert Dresdner Plattenbau in den Hafen von Odessa. Oder: Britisches Pop-Duo besetzt russischen Panzerkreuzer mit Dresdner Orchester. Oder: Film-Ikone Sergej Eisenstein tanzt zu freiheitlichen Club-Sounds auf der Prager Straße. Ist ja alles nicht wahr. Erst am Abend des 20. Juli 2006, als die um eine riesige Leinwand gelegenen Balkone so illuminiert werden, dass gigantische Jahreszahlen lesbar werden, angefangen bei der 46, durchlaufend zur 89, geht den Besuchern der „Hochhaussinfonie“ auf, welchem großartigen Wahnsinn sie gerade beiwohnen: einer Inszenierung der unbedingten Freiheit.

In gemeinschaftlicher Arbeit haben die Pet Shop Boys und die Dresdner Sinfoniker auf beeindruckende Weise den zum „Besten Film aller Zeiten“ gekürten Streifen „Panzerkreuzer Potemkin“ neu vertont, für den Eisenstein seinerzeit forderte, jede Generation möge ihren eigenen Soundtrack komponieren. Ein Meisterwerk, für das der ingeniöse Filmemacher ganz bewusst Mittel des Propagandafilms verwandte; als solcher verklärt wurde der „Panzerkreuzer“ wiederum Teil eines Pflichtprogramms im DDR-Lehrplan.

Heute sitzen die ehemaligen Staatsbürgerkunde-Schüler wie eh und je am Rand des Pusteblumen-Springbrunnens auf der Prager Straße, um sich am vermutlich heißesten Tag des Jahres die Füße zu kühlen, und schauen aufgeregt zum Vorfilm (Intro:Bettina Renner und Richard Krause), der ganz harmlos mit Sequenzen aus frühen DDR-Tagen beginnt, unter mächtiger, immer bedrohlicherer Soundkulisse erste Versätze aus Dresdner Überwachungskameras Herbst ’89 einstreut und schließlich mit einer stillen Szene zu unsentimental berührender Intensität aufläuft. Hier auf der Prager Straße, einem von den Dresdnern der Nachwendezeit ausdauernd stiefmütterlich behandelten, historischen Ort.

Es sind genau dererlei Verschränkungen, die diesen Abend so unglaublich spannend machen; als Übergang zum Hauptfilm präsentiert die Leinwand eine tosende, unruhige See, ähnlich der inneren Stimmung vieler auf dem Platz davor. Derweil beziehen 42 Dresdner Sinfoniker auf den umliegenden Balkonen einzeln Position und Chris Lowe und Neil Tennant, die beiden Pet Shop Boys, auf einem roten Balkon direkt über der Leinwand. Nomen est omen: Den definitiv besten Platz hat Dirigent Jonathan Stockhammer auf einer verkleideten Hebebühne vor der ersten Reihe: Auch während der Sequenzen, in denen die Sinfoniker nichts zu tun haben, sieht man dem Mann eine gewisse rhythmische Begeisterung an…

Als der Stummfilmklassiker von 1925 schließlich startet, haben auch die Emotionen im Dunstkreis des Events längst ihren ruhigen Hafen verlassen – es knistert auf dem Platz, in der Menge; nein, nicht aus den Boxen, der Sound ist exzellent, was angesichts des Schallverhaltens zwischen den Betonblöcken ganz gewiss nicht einfach zu bewerkstelligen war. Die Pet Shop Boys lassen es mit den Streichern der Sinfoniker relativ ruhig angehen, entwickeln parallel zum wachsenden Unmut der Filmmatrosen über die miese Behandlung an Bord immer heftiger treibende, auch in der Abmischung nach vorn drängende Elemente housiger Industrial-Anleihen, derber als alles, was man von den beiden Pop-Tüftlern eigentlich gewohnt ist. Die Szene der eigentlichen Meuterei wird durch die beinahe schon aggressive Soundbewölkung zum Weckruf für das Fieber der Masse auf der Leinwand, partiell sicher auch davor.

Im sich anschließenden, filmischen Chaos streichen die Sinfoniker auf eine angenehm unkonventionelle Weise quer; spätestens an dieser außergewöhnlichen Knotenstelle kann man klären, warum die Pet Shop Boys gut beraten waren, sich an die Dresdner zu wenden, der „Panzerkreuzer“ ist eben kein „Bond“. Erstaunlich auch, wie unverfroren die beiden Briten ihr unumgängliches, zum Pop gehörendes Pathos in leichtfüßig-eingängige Harmonien verpacken, als wiege es nichts, als sei es selbstverständlich. Aber so funktionierte ihre Musik schon immer: Die großen Dramen des Lebens und der Liebe auf das Format einer Brausetablette gepresst, die, einmal im Wasserglas gelandet, für süße, aber intensive Katharsis sorgt. Das durchaus auch gern etwas zackigere Zuspiel der Sinfoniker reduziert den angesichts dieses Films ohnehin schon verringerten Zuckeranteil zusätzlich, die berühmte Treppenszene in Odessa, in der die aufgewühlte Menschenmenge unter zaristischem Gewehrfeuer in ein Massaker läuft, ließe auch gar keine andere Konsequenz zu.

Allein das Stampfen wird lauter. Es ist der Rhythmus, mit dem das Leben immer mit muss. Geschichte wird gemacht. Volle Kraft voraus. Das Ziel: Unbedingte Freiheit. Die Komposition gibt selbst so beiläufigen Bildern wie dem morgendlichen Lagern der Schiffe im verschlafenen Hafen eine melancholische, unkitschige Intensität, die sich so mancher deutscher Filmemacher oder Hollywood-Regisseur wohl nicht im Traum vorstellen könnte. Allein der Song „No time for tears“, den Neil Tennant nach dem Ende des Films und vielen netten Worten seinerseits an die Dresdner und ihre Sinfoniker ein zweites Mal intoniert, tropft gehörig, da gibt es nichts herumzureden. Schön jedenfalls, dass man die beiden so auch noch einmal via Leinwand zu Gesicht bekommt, haben sie sich doch während des Films recht bescheiden im Hintergrund gehalten.

Man darf gewiss annehmen, dass es sich dabei um eine Form von Respekt handelt. Respekt vor der Geschichte und vor allem dem Mut, der sie verändert. So wird der Abend mit seinen unzähligen Beteiligten und Helfern und dem 10000-köpfigen Publikum einer großartigen Collage auch zu einem Plädoyer für einen wachen Geist, der nicht einschlafen sollte, wenn Freiheit in Schritten erreicht ist. Der in dieser Stadt und speziell auf der Prager Straße hoffentlich ein Zeichen gesetzt hat, dass auch Geschichte aus Beton Geschichte ist und zur Identität einer Stadt gehört.

Chris Lowe und Neil Tennant haben vermutlich, schon weil es sie zu faszinieren schien, noch eine Weile im Plattenbauwohnzimmer gesessen. Vielleicht ja bei Oma Ilse, mit Pantoffeln unterm MuFuTi. Doch auch für Sven Helbig, Torsten Rasch, Markus Rindt und all die anderen Initiatoren dürfte dieser Abend etwas Einmaliges gewesen sein. Die Zehntausend applaudieren noch lange.

Norbert Seidel


Ferndirigat: SäZ2

Sächsische Zeitung

Grandiose Selbstbeschenkung

8. September 2008

Wenn Michael Helmrath allein am Themse-Ufer steht und John Williams‘ Ouvertüre zu „Star Wars“ dirigiert und synchron dazu die Dresdner Sinfoniker unweit des Elbufers spielen, als stünde er leibhaftig vor ihnen, dann sieht das aus wie ein Triumph der Technik. Aber es ist auch ein stiller Sieg der Ironie, ein Festspiel des Augenzwinkerns.

Die Event-Hülle passt gut zum Geburtstagskonzert der Sinfoniker, die in den zehn Jahren ihres Bestehens oft mit Sinn und Form jongliert haben. Zwar blickt kaum ein Musiker auf die Projektion, die mithin fürs Taktieren eher unerheblich ist. Doch die virtuelle Live-Präsenz ihres in London weilenden „Dirigenten der ersten Stunde“ und die ebenfalls per Satellit übertragenen Grüße der Pet Shop Boys, mit denen die Sinfoniker vor zwei Jahren Dresdens Prager Straße elektrisierten, bringt eine Weltläufigkeit in den Kulturpalast, dass selbst der Staub gleich viel globaler riecht.

Mit diesem Konzert beschenken die Jubilare zwar auch sich selbst, doch nicht minder Freunde und Sympathisanten. Ihre Heim-Auftritte vereinen stets große Teile der hiesigen Band-, Bühnen- und Kunstszene, und auch wer kein Stammhörer zeitgenössischer Musik ist, fremdelt hier nicht, sondern ist neugierig offen und ergötzt sich am Detail – am Sonnabend die mit Beifall nicht geizende Mehrheit.

Als die Ü-Technik ausgestöpselt und abgeräumt ist, geht es ans Eingepackte. Zunächst gibt es „Excantare fruges“ von Torsten Rasch, das „Aussingen der Früchte“. Rasch, bekannt durch seine Rammstein-Orchester-Arrangements, hat hier altägyptische Rituale verarbeitet. Folgen von Terzen, Ganz- und Halbtonschritten verdichten sich zu Klangballungen, die aufgehen wie Hefeteig und schrumpfen wie Hoffnungen. Dirigent Olari Elts, in Fleisch und Blut und Frack zugegen, zelebriert mit den hellwachen Sinfonikern die Dynamik von Werden und Vergehen. Was ewigen Atem birgt, lässt sich auch in Kürze sagen. Fortan knistert es im Saal.

Es folgt mit „Noctámbulos“ die von Enrico Chapela für diesen Anlass notierte Orchester-und-Rockband-Version seiner Kammersuite „Lo nato es neta“. Der wilde Groove aus Percussion, Bläsern und Streichern ist suggestiv, zuweilen brachial. Schub und Sog wechseln unstet, selbst die Musiker scheinen von den Wellen, die sie aufwerfen, hin- und hergerissen. In den Tutti verwirbeln die Bläser die schemenhaften Strukturen derart, dass sich im Publikum diffuse Sehnsucht breitmacht nach Sanftheit, die sich nicht einlöst, oder nach Rückkehr fester Rhythmen, und da kann geholfen werden. Doch dann gellt Jens Leglers E-Gitarre, als brenne das Zappa-Zimmer eines 70er-Jahre-Museums. Löschzug & Pause.

Klangliches Glanzstück des Abends ist Erkki-Sven Tüürs Sinfonie Nr. 5 für Bigband und Orchester. Keiner muss Tüürs mathematische Codes kennen, um zu spüren, dass hier nichts willkürlich gesetzt ist. Silbrige Streicherschichtungen eröffnen weite Ebenen, die ein Karnevalszug des Bigbandblechs kreuzt, bevor der Gitarrist unter Strom seinen Merlins-Tanz hinzappelt. Auch hier ein Hauch von Ironie: Wenn endlich die ölige, bröcklige Phrasierung der E-Gitarre verstummt, klingen die Streicher wie neugeboren, zart und rein. Sag ich doch, denkt der Schöpfer. Tüürs Sinfonie fordert sinnliches, intelligentes Lichtspiel und treibt das grandiose Ensemble in Grenzbereiche. Das Orchester ist der Star, illuster sind seine Gäste.


Ferndirigat: DNN

Dresdner Neueste Nachrichten

Der Satellit macht’s möglich

08. September 2008

Jubiläumskonzert der Dresdner Sinfoniker mit dem ersten Ferndirigat der Welt

Ob das Schule macht? Das Orchester an einem Ort, der Dirigent an einem anderen? Zumindest geschah das am Sonnabend im Kulturpalast beim Konzert aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der Dresdner Sinfoniker. Da stand der Dirigent Michael Helmrath, der dem Orchester seit Jahren verbunden ist, im Zentrum Londons und dirigierte den Drehorgelspieler Moshe Silbermann, der in Helmraths unmittelbaren Nähe sein Instrument drehte, und das Orchester auf der Bühne in Dresden. Via Satellit wurde das Bild seiner unübersehbaren Gestalt auf Monitore und eine semitransparente Wand übertragen. Hören konnte Helmrath nur die Drehorgel, während das Orchester für ihn ein reiner Glaubensakt blieb – nicht hören und doch glauben. Nun mag ein solches Vorgehen bei der Ouvertüre zu „Star Wars“ von John Williams noch möglich sein, weil die für die Ausführenden von der Qualität der Sinfoniker keine übermäßigen Schwierigkeiten bedeutet. Bei komplizierteren Werken ist davon abzuraten, zumal das Ganze nicht mehr als ein netter Spaß ist, der kaum künstlerischen Eigenwert besitzt.

Die anderen Werke des Jubiläumskonzerts bedurften eines Dirigenten am Ort des Orchesters. Da war der Este Olari Elts die richtige Wahl, denn er leitete die Sinfoniker mit außergewöhnlich genauer Schlagtechnik und oft mit vollem Körpereinsatz, was der Präzision der Ausführung zugute kam. Am Anfang stand die Uraufführung von Torsten Raschs „excantare fruges“, eines Auftragswerks der Sinfoniker und des Sinfonieorchesters Osnabrück. Spätestens seit „Mein Herz brennt“ weiß man um Raschs Fähigkeiten im Umgang mit großen Orchestern. Auch diesmal war seine Instrumentierung von hoher Qualität. Dagegen stand seine Arbeit mit thematischem Material etwas im Hintergrund und die Permutationen und Variationen, von denen er in seiner Werkerläuterung spricht, waren nicht mit gleicher Deutlichkeit erkennbar. Es scheint ein grundsätzliches Problem zu sein, dass man die Inhalte verbaler Äußerungen von Komponisten in der Musik nur in Ausnahmefällen wiederfindet.

Der stärkste Eindruck des Abends ging von „Noctámbulos“ aus, das der Mexikaner Enrico Chapela im Auftrag der Sinfoniker für Rocktrio und Orchester geschrieben hat und in diesem Konzert ebenfalls uraufgeführt wurde. Das tragende Element dieses Werks sind die kontrastierenden Rhythmen, die sich bis zur Polyrhythmik steigern. Dabei sind große Eruptionen und eine spannende Orchestrierung, drangvolle Ostinati und unwiderstehlicher Drive ergänzende Parameter. Chapela beweist hier seine Fähigkeit, schwebende Melodik zu komponieren und einzelnen Soloinstrumenten – neben dem Trio hauptsächlich Blasinstrumenten – zuzuweisen. Die Komposition ist voller Raffinement, die aber durch die Vitalität der Musik als völlig natürlich und oft auch als spontan empfunden wird. Die astrologischen Spekulationen Chapelas, die er in seiner Werkeinführung benennt, muss man als Hörer zum Glück nicht nachvollziehen, obwohl sie vielleicht für Eingeweihte genau das sind, wodurch das Werke erst seine letzte Klarheit bekommt.

Durch die Aufführung der Sinfonie Nr. 5 für Bigband, E-Gitarre und Orchester von Erkki-Sven Tüür konnten wir einen interessanten estnischen Komponisten kennen lernen. Über estnische Musik wissen wir wohl nur das, was uns durch die Werke Arvo Pärts bekannt geworden ist. Das ist einigermaßen ungerecht, weil Pärt sicher eine Ausnahmeposition besetzt und ein Blick in die Werkliste Tüürs zeigt, dass es eben noch viele andere Kompositionen aus Estland gibt. Über Tüür ist zu lesen: er „befasst sich mit verschiedenen Polaritäten, etwa mit Minimal Music oder serieller Musik, und kombiniert beide in einer Komposition – heraus kommt kein postmodernes Crossover, sondern eine durchstrukturierte Partitur.“ Seine Sinfonie legt davon ein klares Zeugnis ab, konnte aber trotz souveräner Bewältigung durch die Ausführenden – neben den Sinfonikern Jens Legler an der E-Gitarre und das Berlin Jazz Orchestra – nur mit Blick auf die intelligente Schreibweise überzeugen. Die Sinfonie in ihrer Gesamtanlage und ihrem strukturellen Grundkonzept ist zu sehr der Schreibweise der siebziger und achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts verpflichtet, um tatsächlich Neues zu vermitteln.

Ein Ärgernis ist zu kritisieren. Die Deutsche Grammophon, bei der eine CD mit den Dresdner Sinfonikern erschienen ist, hat auf den gleichen Abend die Vorstellung einer neuen CD mit René Pape gelegt, so dass sich zwei Veranstaltungen gegenseitig Konkurrenz geliefert haben. Das ist zwar ziemlich schwachsinnig, kann uns aber die Freude darüber nicht verderben, dass sich die Dresdner Sinfoniker in den zehn Jahren ihres Bestehens einen Ruf erarbeitet haben, den wohl nicht einmal die Initiatoren bei der Gründung des Orchesters für möglich gehalten haben. Das „Wunder von Dresden“ ist geschehen und hat aus den Wurzeln eine prachtvolle Krone wachsen lassen. Gehen wir also mit den Sinfonikern getrost in das zweite Jahrzehnt ihrer Existenz, das mit dem Jubiläumskonzert schon unüberhörbar begonnen hat.

Peter Zacher


Ferndirigat: SäZ1

Sächsische Zeitung

Gern mal ein Spektakel

30. Juli 2008

Eine Jazzband gründen – das war die Ur-Idee. Oder besser gleich ein Orchester? Solche leicht verrückten Scherze entstehen unter Leuten wie Markus Rindt (gelernter Hornist), Tom Götze (Bassist) und Sven Helbig (Schlagzeuger). Nur – was das Dresdner Trio eines Sommerabends 1996 in der Felsenbühne Rathen ausheckte, wurde bald richtig Ernst. Denn die Klänge in ihren Köpfen – das war bald klar – ließen sich mit wenigen Leuten nicht machen.

Es waren nicht nur Dresdner Kollegen, die bald mit ins Boot stiegen, um sich als „Dresdner Sinfoniker“ mehrmals pro Jahr mit Herz und Verstand und ohne Gage zeitgenössischer Musik zu widmen. Auch Berliner Philharmoniker, Musiker des Tonhalleorchesters Zürich und einiger weiterer Klangkörper gehörten bald zum Kreis. Im Juli 1998, vor zehn Jahren, gab der Klangkörper unter Jonathan Nott sein erstes Sinfoniekonzert. 2000 Begeisterte erlebten im Dresdner Kulturpalast nicht Beethoven oder Brahms, sondern eine Uraufführung und eine europäische Erstaufführung. Überregional sah man ein Wunder an der Elbe – verständlich in einer vom Orchestersterben gekennzeichneten Zeit.

Seitdem zeigen sich die Dresdner Sinfoniker flexibel, farbenfroh und facettenreich wie eine Band. Und denkbar breit interessiert. Musik von John Adams bis Frank Zappa, moderne Klänge aus der Mitte des Abendlandes, aus Mittelasien und dem Reich der Mitte – stets ist das Orchester auf der Suche nach dem Ungewöhnlichen oder Ungehörten. Enthusiasmus und langer Atem machen das kaum Mögliche möglich, etwa die manuelle Rückholaktion von John McLaughlins „Apocalypse“ von Tonträger auf Notenpapier. Ohnehin liegt hoher Aufwand in der Natur der Sinfoniker-Projekte. Ein gewisses Kokettieren mit dem Spektakel ist dabei legitim, bringt es doch oft erst die gebührende Aufmerksamkeit. Allerdings waren die Begegnungen mit Rammstein („Mein Herz brennt“, 2003) und den Pet Shop Boys („Panzerkreuzer Potemkin“, 2004 und 2006) auch Grenzerfahrungen. Beide Male hieß es, sich dem Großen klar unterzuordnen.

Das Horn, das Rindt einst im Landesbühnen-Orchester blies, liegt heute im Kasten. Seit der Geburt der Dresdner Sinfoniker hat er das Musikmachen weitgehend dem Ermöglichen von Musik geopfert. Für das Orchester leben heißt für ihn heute telefonieren und organisieren, animieren und argumentieren. Dies umso mehr, seit durch den Weggang Sven Helbigs vor zwei Jahren die Fäden allein bei ihm zusammenlaufen.

Nach einiger Stille zuletzt verspricht das Jubiläumskonzert am 6.September unter Olari Elts ein Ereignis in bekannter Sinfoniker-Manier zu werden: eine Collage aus Orchester, Rocktrio und Bigband. Werke von Torsten Rasch und Enrico Chapela erblicken das Licht der Welt. Der Clou wartet zu Beginn: Dirigent Michael Helmrath, den Sinfonikern seit Anbeginn treu, kann nicht wirklich kommen, er erscheint aber immerhin virtuell im Dresdner Kulturpalast. Als etwas verrückter Straßenmusiker wird er von London aus die „Star-Wars“-Ouvertüre leiten.


Hasretim: Süddeutsche

Süddeutsche Zeitung

Heimat, wohin Du gehst

14. Oktober 2010

… Das deutsch-türkische Musikprojekt Hasretim in Hellerau (…) vermittelte an diesem Abend vor allem eines: heimatliche Wärme, wohin man sah und wohin man hörte. Egal, welches Instrument sich gerade in den Vordergrund schob, ob Saz, Kemence, Davul, Duduk, Ud oder Zurna – alles klang so wunderbar bauchig und erdig, als wär´s von einem selber. Es war, wenn man die ethnologische Neugier einmal ausblendete, als könne überall Heimat sein, wo solche Musik ist… Marc Sinan wollte das so, er suchte eine Symbiose von Anatolien und Deutschland, von Klassik und Volksmusik, von historischen Klängen und Zukunftsmusik. Was er vor allem erreichte, war die Transformation der Volksmusik in den sinfonischen Orchestergraben, die Übernahme von Trommeln und Hirtenflöten, Schalmein und Langhalslaute in Verbindung mit der westlichen Gitarre…Manchmal klang es aber auch wie Jan Garbarek, allerdings: strenger, strukturierter, erdiger.  …

Helmut Mauró


Hasretim: DNN

Dresdner Neueste Nachrichten

Bewegender Brückenschlag

11. Oktober 2010

Es ist schon eher eine Seltenheit, dass sich die Dresdner Sinfoniker eine fertige Partitur aufs Dirigentenpult legen. Neben dem musikalischen Ergebnis zählt immer der Innenblick in musikalische Kulturen, die wir viel zu selten zu Gehör bekommen. Die Sinfonikerkonzerte sind mit lange gehegten und mit Nachdruck verfolgten Ideen verbunden, für die Initiator und Intendant Markus Rindt einsteht. So entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Europäischen Zentrum der Künste Hellerau das Projekt „Hasretim – eine anatolische Reise“, das bei den TonLagen im Festspielhaus Hellerau uraufgeführt wurde.

Wie zeitaktuell das Werk war, lässt sich anhand der Terminlage verdeutlichen: Tags zuvor spielte die Nationalmannschaft in Berlin gegen die Türkei, zudem war der türkische Ministerpräsident Erdogan bei der Kanzlerin zu Gast. Eine Integrationsdebatte wird auf politischer Ebene schon lange im Land geführt. Dass dazu zwingend auch die inspirative, auch experimentell geführte Auseinandersetzung zwischen den Kulturen gehört, ist die wichtige Botschaft des Konzertes. Über einen längeren Zeitraum fuhr Rindt mit dem deutsch-türkischen Komponisten und Musiker Marc Sinan und einem Kamerateam an die Schwarzmeerküste und in den inneren Nordosten der Türkei und zeichnete Gesänge und Tänze der Einheimischen auf. Es zählte nicht unbedingt der musikethnologische Anspruch, dafür ist die musikalische Landkarte zu vielschichtig. Was entstand, ist eine Art tönendes Skizzenbuch der Reise, das in Konzertform mit Video und großem Kammerensemble wieder neu zusammengesetzt wurde. Dabei wurde die Reiseroute zwischen Ordu, Erzurum und Kars beibehalten – seien wir ehrlich, kennt einer der bekennenden Türkeiurlauber diese auch historisch bedeutsamen Orte überhaupt? Geschweige denn die Musik, die über die Generationen hinweg weitergetragen wurde und die hoffentlich als kulturelles Erbe auch erhalten wird. „Hasretim“ leistete dazu einen wertvollen Beitrag. Marc Sinan schuf eine Partitur, die zwischen den Originalaufnahmen und der Live-Musik des Ensembles changierte, sich aber nur selten wesentlich vom Charakter der Volksmusik entfernte, lediglich ein jazziges Klaviersolo wirkte etwas eigenartig im Zusammenhang. Im Gesamteindruck hätte eine bessere Verstärkung einiger Instrumente (Flöte, Kaval, Streicher) die Strukturen noch transparenter gemacht.

Sinans Musik zeichnet behutsam nach und hat damit die Wirkung eines Spiegels oder Kommentars, zudem funktionierte die „Integrationspolitik“ im Orchester einwandfrei: Türkische und armenische Gastmusiker saßen mit im Ensemble; die Kollegen der Sinfoniker indes hatten die respektable Aufgabe, sich fernab einer wohltemperierten Stimmung auf Skalen und Strophenlieder einzulassen, für die spezielle Spielarten gefunden werden mussten. Was nämlich beim Lieblingstürken um die Ecke basslastig aus dem Lautsprecher dröhnt, ist maximal noch ein skelettartiger Rest der reichen musikalischen Kultur Anatoliens. Das wird allein schon angesichts der Instrumente klar, die sich in Hellerau auf der Bühne einfanden: Saz, Ud, Kavel und Kemence, dazu die beiden hinreißenden Duduk/Zurma-Spieler, die schon zur Terterjan-Sinfonie begeistert hatten.

Der italienische Dirigent Andrea Molino hatte wesentlichen Beitrag zur Zusammenstellung des Werkes geleistet und koordinierte Bild und Ton in der Aufführung sicher zusammen. Das Videozuspiel (Filip Zorzor, Lonni Wong) wirkte manchmal zu verspielt, dadurch wurde die intensive Wirkung des Authentischen leicht verwischt. Das tat aber der hervorragenden Aufführung keinen Abbruch; dankbar nahm das Hellerauer Publikum diesen kulturellen Brückenschlag entgegen und feierte anschließend ausgelassen mit den Sinfonikern und den Gastmusikern, die sich für eine Zugabe nicht lange bitten ließen.

Alexander Keuk


Hasretim: FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Auf nach Anatolien! Zukunftsmusiken in Stuttgart und Hellerau

22. Oktober 2010

Die Neue Musik ist, schon seit längerem, des Elfenbeinturms überdrüssig. Vermittlung heißt das Zauberwort, mit dem vor allem das junge Publikum angelockt werden soll. Das Rezept scheint zu wirken. In Donaueschingen sind seit Jahren schon die experimentellen Konzerte überlaufen, in Witten ebenso und auch bei Stuttgarts Éclat Festival im Frühjahr. In Stuttgart nennt sich ein neues Festival einfach „Zukunftsmusik“. Innovativ will man sein, nicht nur die Hauptstadt mit neuen Werken, Aktionen, Ideen erobern, sondern die ganze „KulturRegion“. Das Publikum ist zum Mitspielen aufgefordert, und in Ludwigsburg, Ditzingen, Leonberg, Backnang, Waiblingen, Ostfildern, Rechberghausen und noch anderen Orten nimmt es an der Darbietungen, die sich Komponisten, Musiker, Künstler aller Disziplinen ausgedacht haben, lebhaft interessiert und von Fall zu Fall auch aktiv teil.

Für das Abschlusskonzert des „Zukunftfestivals“ begab man sich doch wieder ins feste Quartier, ins Theaterhaus auf dem Pragsattel. Drei Produktionen standen auf dem Programm: eine Musik- und Videoperformance von Daniel Kötter und Hannes Seidl zum Thema „Kunstarbeit“ und „Freizeitgestaltung“. Wie steht es um die Balance zwischen Arbeit, Freizeit und Kunst, so die Frage. Für die Abbildung standen fünf Sänger der Neuen Vocalsolisten. Die Kamera begleitet sie bei alltäglichen Verrichtungen und diversen Freizeitaktivitäten. Auf der Live-Bühne treten dann die Akteure leibhaftig mit ihren „Abbildern“ in Kontakt, woraus sich oft witzige Brechungen und Situationen ergeben. Komödiantische Heiterkeit und unverkrampfte gesellschaftskritische Implikationen stehen mit schöner Selbstverständlichkeit nebeneinander. Und die von den Vocalsolisten live gesungene Musik, mit einigen eingearbeiteten Rameau-Arien, wirkt wie eine zusätzliche Brechung des „Themas“, als ein belebendes Spannungsmoment.

Während die Performancekünstlerin Jennifer Walshe mit ihrer „Zukunftsfiktion von Stuttgart 2091“ sicher von aktuellen Vorgängen in der Stadt animiert worden sein dürfte, begibt sich der Komponist und Chordirigent Rupert Huber mit seiner Chorkomposition „Al Ganyy“ in tiefere Sinnsuche für seine Musik. Zugrunde liegt die 112. Sure des Korans, in der es um Gott und Reinheit geht. Huber reflektiert die Thematik musikalisch, erzeugt mittels eines „Klang“ grundierenden größeren Chors, dessen Mitglieder zugleich Klangschalen anschlagen, und der darüber gelegten Stimmen des SWR Vokalensembles eine hochgespannte doppelter Klangschicht, in der auch außereuropäische Elemente verarbeitet werden.

Neue Zukunftsaussichten will auch das Festival in Hellerau bei Dresden bieten. Die früheren „Tage der zeitgenössischen Musik“, in strenger Observanz von Udo Zimmermann konzipiert, öffnen sich unter neuer Leitung vielen Erscheinungen der gegenwärtigen Musik. Zu den „Tonlagen“, wie sich das Hellerau-Festival jetzt nennt, gehörte diesmal auch der Ausflug in die östliche Türkei. „Hasretim – eine anatolische Reise“ hieß ein Abend mit Musikern der Dresdner Sinfoniker sowie türkischen und armenischen Gästen. Video-Aufnahmen von karstigen Bergen, fernen Inseln und leise kräuselndem Meer dienten als Folie für die musikalischen Beiträge. Klänge und Lieder, die von Gefühlen und Leiden, vom Lieben und Trauern der Menschen in diesen Ländern erzählen, ließen vorübergehend Wulff-Reden und Sarrazin-Debatten vergessen. Alles Harmonie im Großen Hellerauer Festspielhaus. Türken, Armenier, Deutsche, ob Künstler oder Zuhörer, waren auf Zeit mit- und ineinander integriert. Ein Konzert als schöne Vision.